Ukraine-Krieg: Russland gehen die Präzisionslenkwaffen aus

    Angriffswelle gegen die Ukraine:Russland gehen die Präzisionslenkwaffen aus

    von Christian Mölling und András Rácz
    11.10.2022 | 22:54
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    Die jüngsten Angriffe auf die Ukraine zeigen: Russland verfügt nur noch über wenige Präzisionslenkwaffen. Und entgegen aller Drohungen eskaliert Moskau weiter konventionell.

    Ukraine, Kiew: Brennenden Autos nach russischen Angriffen.
    Russland hat am 10. Oktober eine Welle gezielter Angriffe gegen Kiew und andere ukrainische Städte gestartet.
    Quelle: Valentyn Ogirenko/Reuters

    Nachdem am vergangenen Samstag eine Explosion die Kertsch-Brücke, die die annektierte Halbinsel Krim mit Russland verbindet, beschädigt hatte, startete die russische Armee eine Welle gezielter Angriffe gegen ukrainische Städte und zivile Infrastruktur.
    Saporischschja wurde bereits am frühen Sonntagmorgen schwer getroffen - mindestens 13 Menschen starben, 87 weitere wurden verletzt.

    Größter Angriff auf Hinterland seit Monaten

    Am Sonntagabend berichtete der Leiter des russischen Untersuchungsausschusses, Alexander Bastrykin, Kremlchef Wladimir Putin, dass der Angriff auf die Brücke von Kertsch von ukrainischen Spezialeinheiten verübt wurde.
    Der Präsident bezeichnete den Anschlag als Terrorismus. Während des Treffens wiederholten beide mehrmals den Begriff "zivile kritische Infrastruktur", was darauf hindeutete, dass Russland wiederum einen Vergeltungsschlag gegen ukrainische zivile Infrastruktur durchführen könnte.
    Genau das ist dann am Montagmorgen geschehen: Russland startete den größten Angriff gegen das ukrainische Hinterland seit mehreren Monaten. Insgesamt setzte Russland mehr als 80 Raketen und Marschflugkörper sowie mehr als Hundert Drohnen aus iranischer Produktion ein. Russland setzte praktisch alles ein, was es in seinem Inventar hat:
    • Hochpräzise Marschflugkörper wie die Kalibr und die H-101,
    • S-300-Luftabwehrraketen, die so modifiziert wurden, dass sie Bodenziele treffen können, und
    • Tornado-MLRS-Raketen und verschiedene andere Systeme.
    Die Raketen wurden von strategischen Bombern vom Typ Tu-160 und Tu-22M von mindestens einer Korvette der Schwarzmeerflotte sowie von verschiedenen landgestützten Abschussrampen aus gestartet.



    Auch Städte im Westen der Ukraine unter Beschuss

    Die ukrainische Luftabwehr zeigte eine sehr gute Leistung. Sie konnte 41 der ankommenden Raketen und Drohnen abfangen. Eine Drohne wurde von einem schweren Maschinengewehr abgeschossen, während es einem anderen ukrainischen Soldaten gelang, einen Marschflugkörper mit einer schultergestützten Igla-Flugabwehrrakete zu treffen.
    Dennoch trafen die Angriffe fast das gesamte ukrainische Staatsgebiet, sogar westliche Städte wie Lwiw und Iwano-Frankiwsk. Die gegen sie abgefeuerten Marschflugkörper durchquerten den moldauischen Luftraum, was dazu führte, dass der russische Botschafter ins moldauische Außenministerium einbestellt wurde, um die Verletzung zu erklären.

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    Russland greift zivile Ziele in Kiew an

    Zum ersten Mal seit dem Sommer wurde Kiew von Raketen getroffen - die Hauptstadt war letzte Woche einige Male Ziel von Drohnenangriffen, aber seit Juni wurden keine Raketen mehr gesichtet. Die Angriffe richteten immense Schäden an zivilen Gebäuden an. Auch die Visastelle der deutschen Botschaft wurde getroffen. Das Gebäude des SBU, des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes, wurde ebenfalls angegriffen.
    Während die Angriffe auf Kiew schwere, aber keine strategischen Schäden verursachten, wurde in anderen Regionen des Landes die zivile Energieinfrastruktur schwer getroffen. Mehrere Kraftwerke, Umspannwerke und die Wasserversorgungsinfrastruktur wurden beschädigt, was zu erheblichen Stromausfällen und Versorgungsunterbrechungen führte.

    Russische Angriffe auch am Dienstag

    Die Angriffe wurden am Dienstag fortgesetzt, wenn auch mit geringerer Intensität. Bis zum Mittag feuerte Russland 28 Marschflugkörper und mehrere Selbstmorddrohnen ab, wiederum hauptsächlich gegen Ziele der Energieinfrastruktur. Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs gelang es den Luftabwehrkräften, 20 davon abzuschießen.
    Bei diesen Angriffen handelte es sich eindeutig um Vergeltungsmaßnahmen. Dies wurde auch durch die außerordentliche Sitzung des russischen Nationalen Sicherheitsrates am Montag bestätigt: Nach der Sitzung gab Putin öffentlich bekannt, dass Russland sich für die Angriffe auf die Krim-Brücke rächt.

    Raketenbeschuss präzise geplant

    Die Zielgenauigkeit der Angriffe deutet darauf hin, dass Russland diese schon länger vorbereitet hat. Der Anschlag auf die Krim-Brücke diente wahrscheinlich nur als Vorwand für die Ausführung der Pläne. Außerdem deuten die Angriffe darauf hin, dass Russland nicht mehr genügend Präzisionslenkwaffen zur Verfügung stehen - sonst hätten sie nicht auch die notorisch ungenauen S-300 eingesetzt.
    Allerdings sind die Bestände noch nicht vollständig aufgebraucht. Moskau ist nach wie vor in der Lage und bereit, sie gegen die Ukraine einzusetzen, wenn der Kreml es für notwendig hält. Die abnehmende Intensität der Angriffe zeigt jedoch, dass Russland nicht in der Lage ist, das Tempo der Angriffe auf Dauer aufrechtzuerhalten.

    Russland hält trotz Drohung an konventionellen Mitteln fest

    Darüber hinaus scheint sich zu bestätigen, dass Russland nach wie vor eine Eskalation mit konventionellen Mitteln bevorzugt, ungeachtet der Gespräche über einen möglichen Einsatz von Atomwaffen. Auch wenn Medwedew im Sommer mit der "Entfesselung des Armageddon" gedroht hatte, falls die Krim getroffen wird, hat Russland, als sie nun getroffen wurde, "nur" mit konventionellen Mitteln reagiert. Anscheinend sind nicht alle roten Linien Moskaus unverhandelbar.
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