Arbeitsminister Heil will bis zum 1. Oktober den Mindestlohn auf zwölf Euro anheben. Was ist geplant und welche Folgen könnte das haben?
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, um den Mindestlohn zum 1. Oktober auf zwölf Euro zu erhöhen - das sind 22 Prozent mehr als die derzeitige Lohnuntergrenze von 9,82 Euro pro Stunde.
Experten sehen in dem kräftigen Lohn-Plus jedoch auch Risiken - für Jobs, aber auch rechtliche für den Minister. Ein Überblick über die Mindestlohn-Pläne und die möglichen Konsequenzen:
Was ist laut Gesetzentwurf vorgesehen?
In dem Entwurf für eine Anhebung des Mindestlohns, den Heil am Freitag zur Abstimmung an die anderen Ministerien verschickte und der mehreren Agenturen vorliegt, steht: "Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Oktober 2022 brutto 12 Euro je Zeitstunde". Damit geht der Minister über geltendes Recht hinaus, wonach der Mindestlohn zum 1. Juli in einer letzten Stufe auf 10,45 Euro steigt. Gemessen daran wären zwölf Euro ein Plus von 15 Prozent.
Der Eingriff des Gesetzgebers soll eine Ausnahme bleiben: "Über künftige Anpassungen der Höhe des Mindestlohns entscheidet weiterhin die Mindestlohnkommission." Die nächste Erhöhung soll zum 1. Januar 2024 erfolgen. Über die Höhe soll die Kommission bis zum 30. Juni 2023 entscheiden.
Wen betrifft die Erhöhung des Mindestlohns?
Die Pläne betreffen alle Beschäftigten, auch in Minijobs, nicht aber Praktikanten oder Auszubildende. Wie viele genau davon profitieren, ist nicht so leicht zu beziffern: Im Gesetzentwurf ist die Rede von "voraussichtlich etwa 6,2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern", die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes weniger als zwölf Euro Stundenlohn bekommen. Das Statistische Bundesamt ging im Dezember von knapp 7,2 Millionen Beschäftigten aus, denen eine solche Mindestlohn-Anhebung zugute käme. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nennt 8,6 Millionen Betroffene, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sprach im Wahlkampf von einer "Gehaltserhöhung für zehn Millionen".
Das Bundesarbeitsgericht hat im Juni 2021 beschlossen, dass auch ausländische Pflegekräfte den Mindestlohn erhalten sollen.
Die Unterschiede erklären sich zum Teil mit unterschiedlichen Annahmen, wie viele Beschäftigte, die schon zwölf Euro oder mehr pro Stunde verdienen, ebenfalls mit einer Lohnerhöhung rechnen können, weil durch den höheren Mindestlohn Druck von unten entsteht.
Macht das Mindestlohn-Plus Arbeit zu teuer?
Der gesetzliche Mindestlohn startete 2015 mit 8,50 Euro. Der Verlust Hunderttausender Jobs, den manche Experten vorausgesagt hatten, blieb jedoch aus. Von der Erhöhung auf zwölf Euro erwartet der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, "keinen negativen Arbeitsmarkteffekt".
Mit dem Sprung auf zwölf Euro werde deutlich in das Lohngefüge eingegriffen, sagt der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Bernd Fitzenberger. "Aber der zusätzliche Effekt ist nicht so stark wie 2015." Damals seien unterm Strich praktisch keine sozialversicherungspflichtigen Jobs verlorengegangen und die Verdienste im Niedriglohnsektor seien angestiegen.
Fitzenberger plädiert für ein vorsichtigeres Vorgehen und eine Anhebung auf zwölf Euro in zwei Stufen. Und er empfiehlt, die Mindestlohnkommission einzubinden. Die Corona-Pandemie belaste die Wirtschaft, doch insgesamt werde für das laufende Jahr ein Wachstum vorausgesagt. Zudem fehlten vielerorts Arbeitskräfte, vor allem in der Gastronomie. "Von daher dürfte sich der Effekt, dass ein höherer Mindestlohn auch mehr Menschen in den Arbeitsmarkt bringt, positiv auswirken", so Fitzenberger.
- 80 Prozent der Betriebe fehlen Mitarbeitende
Kaum eine Branche litt so unter den Corona-Beschränkungen wie die Gastronomie. Die größte Herausforderung kam aber erst mit der Wiedereröffnung: massiver Personalmangel.
Was kritisieren die Arbeitgeber?
Für die Arbeitgeber steigen die Löhne - im Gesetzentwurf wird von "höheren Lohnkosten von geschätzt rund 1,63 Milliarden Euro im Jahr 2022" ausgegangen. Auf ein ganzes Jahr bezogen wären das rund 6,5 Milliarden Euro.
Der Arbeitgeber-Verband BDA geißelt zudem staatlich verordnete Löhne, die die Tarifautonomie mit den Gewerkschaften aushöhlten. "Neben steigenden Preisen für Rohstoffe und Versorgungsengpässen wird nun auch die Lohnpreisspirale durch Staatslöhne angetrieben." BDA-Präsident Rainer Dulger schloss zudem eine Klage nicht aus.
Werden die Tarifverträge ausgehebelt?
Tatsächlich gerät Heil in Konflikt mit geltenden Tarifverträgen - etwa für das Gebäudereiniger-Handwerk und die Leiharbeit. In beiden Branchen sind bis Ende 2022 noch Einstiegslöhne von weniger als zwölf Euro vorgesehen, bei den Gebäudereinigern etwa 11,55 Euro. "Einige Tarifverträge sehen aktuell noch Verdienste von unter 12 Euro vor", sagte Stefan Körzell vom DGB. Die Tarifverträge würden aber nicht verdrängt. Es gehe nur um einzelne untere Tarifgruppen, für die dann der gesetzliche Mindestlohn gezahlt werden müsse.
Für Minister Hubertus Heil ist die Mindestlohn-Anhebung nach eigenen Angaben nur ein erster Schritt hin zu mehr Leistungsgerechtigkeit. "Wir brauchen vor allem mehr ordentliche Tarifverträge", sagte Heil der "Passauer Neuen Presse". Nur noch 48 Prozent der Beschäftigten arbeiteten unter dem Dach eines Tarifvertrages. Der Staat müsse mit gutem Beispiel vorangehen.