246 Bundestagsabgeordnete wollen, dass Innenminister Seehofer mehr Menschen aus griechischen Flüchtlingslagern holt. Auch Unions- und SPD-Politiker haben den Appell unterschrieben.
Die Situation der Menschen in den griechischen Flüchtlingslagern beschreiben NGOs als katastrophal.
Weihnachtsappell nennen die Bundestagsabgeordnete ihren Forderungskatalog an die Bundesregierung, den sie heute veröffentlicht haben. Darin erkennen sie zwar an, dass Deutschland nach dem Brand im Lager Moria Hilfsgüter nach Griechenland geschickt hat und fast 3.000 Menschen von dort aufnehmen will. Diese "aber reichen noch nicht aus", heißt es in dem Brief.
Seehofer soll "konstruktiven Weg" suchen
Die Menschen lebten in Griechenland immer noch "unter menschenunwürdigen Bedingungen". Auch im neuen Übergangslager seien die Umstände schlecht: die Lager nicht winterfest, Duschen und Toiletten fehlten, Übergriffe seien an der Tagesordnung. Die Abgeordneten fordern deswegen:
- Die Bundesregierung müsse sich mehr für die Einhaltung menschen- und europarechtlicher Standards in den Flüchtlingslagern einsetzen.
- Die zugesagte Aufnahme der Menschen müsse beschleunigt werden.
- Es sollten mehr Geflüchtete in Deutschland aufgenommen werden: 200 Kommunen und einzelne Bundesländer hätten das bereits zugesagt: "Wir sehen die Bundesregierung in der Pflicht", diesen Kommunen "eine Zusage für die Aufnahme zu erteilen". Der Bundesinnenminister solle "einen konstruktiven Weg (…) anstoßen und vorantreiben".
- Die Bundesregierung solle auch andere EU-Staaten dazu bewegen, mehr Menschen aus Griechenland aufzunehmen.
Minister Müller: "Das schreit zum Himmel"
Neben mehrheitlich Abgeordneten von Bündnis 90/Grünen, Linken und FDP haben auch einige Unions- und SPD-Politiker den Appell unterschrieben. SPD-Vorsitzende Saskia Esken, der frühere Unions-Fraktionschef Volker Kauder und die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), sind ebenfalls dabei.
- Flüchtlingscamp schlecht für Winter gerüstet
Nach dem Brand im Flüchtlingscamp Moria wurde auf Lesbos ein Übergangslager aufgebaut. Jetzt müssen rund 8.000 Geflüchtete in Regen und Schlamm ausharren.
Die Unterschrift von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) fehlt. Er hat am Donnerstag aber bei RTL/ntv die "katastrophalen Zustände" auf Lesbos kritisiert. Es habe sich dort "wenig bis nichts bewegt". Es sei ein "großer Skandal in der Europäischen Union", dass man seit dem Brand in Moria keine Abhilfe geschaffen habe. Die Kinder frieren, Ratten liefen durchs Lager. "Es ist unerträglich", so Müller. "Das schreit zum Himmel."
Kritik von UNHCR und Ärzte ohne Grenzen
Am Mittag sind nach Angaben des UNHCR weitere 88 Menschen aus den griechischen Lagern in Hannover gelandet. Insgesamt seien mittlerweile knapp 2.000 Menschen auf andere europäische Länder aufgeteilt worden, allein 1.519 Personen kamen nach Deutschland, vor allem kranke Kinder und deren Familien.
Die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen warnt davor, es dabei zu belassen. "Fast täglich erreichen uns neue Hiobsbotschaften von den griechischen Inseln", so Frank Remus, Repräsentant von UNHCR in Deutschland:
Die Aufnahme in Europa sei der einzige Ausweg. Die Bundesregierung solle die Aufnahmebereitschaft der Kommunen und Länder nutzen.
Auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen schlägt Alarm: Vier Monate nach dem Brand seien immer noch 15.000 Menschen in den Lagern, ihre Lage habe sich nicht verbessert. Im Gegenteil: Der psychische Zustand der Menschen verschlechtere sich zusätzlich. Sie litten unter Albträumen, regressives Verhalten, Selbstverletzungen und Suizidgedanken nähmen zu.
Die "gesundheitsschädigende Abschreckungspolitik" auf den griechischen Inseln sei nicht beendet, so Einsatzleiter Stephan Oberreit. Die Menschen müssten einen weiteren Winter unter "unmenschlichen Bedingungen" überstehen, "dem Wetter schutzlos ausgesetzt".
EU-Ratspräsidentschaft endet ohne Ergebnis
Seit Monaten haben mehr als 200 Kommunen des Städtenetzwerkes Seebrücke angeboten, mehr Menschen aus Griechenland aufzunehmen, als sie über den gesetzlich festgelegten Verteilungsschlüssel verpflichtet wären. Auch Bundesländer wie Berlin oder Thüringen wollen eigene Aufnahmeprogramme ins Leben rufen. Bislang scheiterten die Initiativen am Bundesinnenministerium.
Die Aufnahme von Geflüchteten ist Sache des Bundes, nicht von einzelnen Kommunen oder Ländern. Außerdem hatte Seehofer argumentiert, wenn Deutschland weiter in Vorleistung geht, sei es schwer, einen neuen Verteilmechanismus in Europa zu verhandeln. Das war das Ziel der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, die allerdings Ende des Jahres ausläuft.