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Faktencheck

Aufrüstung in Osteuropa : Verstößt Nato gegen Vertrag mit Russland?

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Die Nato rüstet massiv auf - und will Truppen in Osteuropa "beständig" stationieren. Verstößt die Allianz damit gegen eine Vereinbarung mit Russland?

 Französische Soldaten als Teil der NATO-Streitkräfte in Estland
Französische Soldaten der Nato-Streitkräfte erreichen Estland.
Quelle: AP

Als man sich vor gut 25 Jahren im Elysée-Palast in Paris zur feierlichen Unterzeichnung trifft, fehlt es an einem nicht: an pathetischen Worten. "Heute schließen wir Frieden", sagt der damalige Staatspräsident Frankreichs Jacques Chirac. Und Russlands Präsident Boris Jelzin verspricht: "Das Abkommen wird Stabilität nach Europa und darüber hinaus bringen."

Gewaltverzicht wird vereinbart

Es ist der 27. Mai 1997. Nach jahrelangen Verhandlungen unterschreiben die Nato und Russland die "Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nato und der Russischen Föderation" - heute kurz als "Nato-Russland-Grundakte" bekannt. Es ist ein Dokument, über das gerade wieder heftig diskutiert wird. Verstößt die Nato mit ihrer gerade beschlossenen Aufrüstung in Osteuropa gegen diese Abmachung?

Man wolle "die Spuren der früheren Konfrontation (…) beseitigen", heißt es zu Beginn zur Grundakte. Dafür versprechen beide Seiten, "auf Androhung oder Anwendung von Gewalt gegeneinander oder gegen irgendeinen anderen Staat" zu verzichten. Konflikte wollen die Nato und Russland in einem neuen Gremium besprechen, dem Nato-Russland-Rat. 

Versprechen der Nato: Keine dauerhafte Stationierung

Und die Nato erklärt damals, "zusätzlich substantielle Kampftruppen" werde man nicht "dauerhaft" in den Staaten des ehemaligen Ostblocks stationieren. Die Kampfgruppen, die das Bündnis ab 2017 als Reaktion auf die Annexion der Krim in den baltischen Staaten und Polen installiert, werden daher alle sechs Monate komplett ausgewechselt.

Jetzt aber will das Bündnis in Osteuropa massiv aufrüsten. Nato-Generalsekretär Stoltenberg spricht von "Hunderttausenden" Truppen, die man aufstellen werde. Dass er die Stationierung dabei wortklauberisch "persistent" (beständig) und nicht "permanent" (dauerhaft) nennt, macht die Sache nicht besser. Wird die Grundakte damit kurz vor ihrem 25. Jubiläum aufgekündigt?

Jens Stoltenberg am 11.03.2022 in Antalya
Interview

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"Es wird viel schlimmer sein als das, was wir in der Ukraine erleben." So beschreibt der Nato-Chef im ZDF-Interview die Eskalation, die bei einem direkten Eingreifen drohe.

Russland hat Grundakte schon vorher nicht mehr interessiert

Tatsächlich verweisen Vertreter des Westens zurecht darauf hin, dass das wichtigere Versprechen, auf Androhung oder Anwendung von Gewalt zu verzichten, von Russland schon mehrfach gebrochen worden ist. Als Russland 2008 in Georgien einmarschierte etwa – oder als es 2014 die Kontrolle über die Krim übernahm. Und jetzt eben: mit dem Angriff auf die Ukraine.

Schließlich, so argumentiert der Nato-Generalsekretär dieser Tage, könne man auch einen russischen Angriff auf Nato-Staaten nicht mehr ausschließen. Wie groß diese Gefahr wirklich ist, lässt sich naturgemäß nicht überprüfen.

Und heute? Nato spricht nicht von "Kündigung"

Doch offiziell aufkündigen will man die Grundakte von Seiten der Nato nicht. Ja, die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagt sogar: die Aufstockung der Nato-Truppen geschehe "explizit auf Grundlage der Nato-Russland-Grundakte".

In der Tat enthält der Absatz, in dem die Nato auf eine dauerhafte Stationierung von Truppen verzichtet, eine wichtige Einschränkung: dies gelte im "gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld". Dass sich das Sicherheitsumfeld 25 Jahre später verändert hat, liegt auf der Hand.  

Die Grundakte - ohnehin kein bindender Vertrag

Ohnehin stellt sich die Frage, wie bindend die Grundakte überhaupt ist. Harvard-Historikerin Mary Sarotte, die gerade erst ein Buch zur Geschichte der Beziehungen zwischen der Nato und Russland veröffentlicht hat, sagt dazu:

Es ist wichtig zu erinnern, was diese Akte nicht ist: ein Vertrag.
Mary Sarotte, Historikerin

"Im Gegensatz zum Nordatlantikpakt ist die Grundakte nur ein politisch bindendes, kein völkerrechtlich bindendes Dokument." Der russische Präsident Jelzin habe dies 1997 gewusst - und ohne Erfolg zu verändern versucht.

Insofern, sagt Sarotte zu ZDFheute, verleihe diese Realität der Nato eine gewisse Flexibilität im Umgang mit der Grundakte. "Sie sollte diese Flexibilität nutzen."

Fazit: Verstößt die Nato gegen die Grundakte?

Seit der Unterzeichnung der Nato-Russland-Grundakte ist es vor allem Russland, das mehrfach gegen zentrale Vereinbarungen aus dieser Grundakte verstoßen hat - durch die Anwendung von Gewalt gegen andere Staaten.

Mit der dauerhaften Stationierung von substanziellen Streitkräften in den Staaten des ehemaligen Ostblocks würde auch die Nato gegen eine Idee aus der Nato-Russland-Grundakte verstoßen. Sie kann sich dabei aber auf eine Einschränkung berufen, die man schon 1997 vorsah - dass sich im Vergleich zu damals das Sicherheitsumfeld völlig verändert hat. 

25 Jahre nach ihrer Unterzeichnung ist die Nato-Russland-Grundakte offensichtlich überholt.

Montage: Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj vor einem Blick auf das zerstörte Mariupol

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