Die Fronten zwischen Russland und der Nato sind hart: Der Politologe Carlo Masala sieht das freie, souveräne Europa gefährdet und spricht über berechtigte Sorgen der Ukraine.
Carlo Masala: Eine Möglichkeit der Kooperation, die den zentralen Punkt der Sicherheit in und für Europa betrifft, ist die Wiederaufnahme verschiedener Rüstungskontrollgespräche. Das hat US-Präsident Joe Biden vorgeschlagen.
Wichtige Abrüstungs- und Konfliktverhütungsabkommen wie der INF-Vertrag oder "Open Skies" sind in den vergangenen Jahren aufgegeben worden - mal von der Russischen Föderation, mal von den US-Amerikanern.
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ZDFheute: Russland wiederum hat nun noch einmal explizit den völligen Abzug von US-Soldaten aus Mittel- und Osteuropa gefordert.
Masala: Das ist den Russen besonders wichtig, aber das ist für die mittel- und osteuropäischen Staaten inakzeptabel, weil es ihre Sicherheit sehr schwächen würde. Es würde zudem das innere Gefüge der Nato stark verändern.
Ich sehe deshalb nicht, dass die USA auf Russlands Forderung eingehen werden. Sie haben aber Gespräche angeboten über eine mögliche Reduktion von Militärmanövern im Baltikum, in den mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten und in der Nähe des Schwarzen Meers. Darauf sind die Russen aber bislang nicht eingegangen.
ZDFheute: Viele Leserinnen und Leser können nachvollziehen, dass sich Russland von der Nato bedrängt fühlt. Andere fragen: Wäre es nicht möglich, Russland als Partner in das Bündnis aufzunehmen?
Masala: Es gab diese Diskussion bereits unter dem ehemaligen russischen Staatspräsidenten Boris Jelzin. Wenn Russland das wollte, müsste es wie jedes andere beitrittswillige Land durch den "Membership Action Plan" gehen.
Dieser sieht unter anderem eine zivile Kontrolle des Militärs vor. Russland müsste eine umfassende Reform des verteidigungspolitischen Sektors vornehmen.
Daran hat Russland aber kein Interesse und so, wie das Land heute ist, könnte es auch nicht in die Nato aufgenommen werden.
ZDFheute: Sie haben auf die Möglichkeit neuer Rüstungskontrollgespräche hingewiesen. Welche weiteren Optionen haben der Westen und Russland, wieder ein vertrauensvolleres Verhältnis aufzubauen?
Masala: Es ist nicht so, dass der Westen in den vergangenen Jahren keine Angebote gemacht hätte. Man könnte wieder stärker den Nato-Russland-Rat nutzen und Gesprächsforen der Europäischen Union und Russlands.
Zudem sitzen die USA, Russland und die europäischen Staaten im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, an einem Tisch. Seit längerem war aber der Wille Russlands nicht vorhanden, innerhalb dieser Foren zu kooperieren.
ZDFheute: Inzwischen laufen die Gespräche wieder auf vielen Kanälen. Vor allem auch mit Blick auf die von Russland geforderte Neutralität der Ukraine. Manche reden von einem Modell "Schweiz des Ostens".
Masala: Ich befürchte, dass es darauf hinauslaufen wird. Darauf deuten Aussagen von Biden, Scholz, Macron und anderen Politikern, die betonen, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine überhaupt nicht zur Debatte stünde.
- Putins Politik: Bedrohung oder Bluff?
Der Westen befürchtet eine Invasion Russlands in die Ukraine. Woher das gegenseitige Misstrauen kommt, was Putin antreibt und wie es so weit kommen konnte.
Das würde aber auch bedeuten: Wir sind zurück in einer Ära, in der Großmächte rücksichtslos über das Schicksal kleinerer Staaten bestimmen. Das wäre ein fundamentaler Wandel in der europäischen Sicherheitspolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts.
ZDFheute: Und die Ukrainer?
Masala: Hätten in dem Fall zu Recht das Gefühl, dass ihr Wille wenig zählt. Zur Erinnerung: Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat die Ukraine ihre Nuklearwaffen aufgegeben und dafür Sicherheitsgarantien von Amerikanern, Briten und Russen bekommen. Das hat die Russen aber nicht daran gehindert, 2014 in die Ukraine einzumarschieren, die Krim zu annektieren und die Ostukraine zu destabilisieren.
Warum zum Teufel sollte die Ukraine einem solchen Deal nochmals zustimmen, wo sie bereits die Erfahrung gemacht hat, dass Sicherheitsgarantien nicht das Papier wert sind, auf dem sie verfasst werden.
Das Interview führte Marcel Burkhardt.