Sie sind hier:
Interview

Russland-Ukraine-Konflikt : Wird die Ukraine zur "Schweiz des Ostens"?

Datum:

Die Fronten zwischen Russland und der Nato sind hart: Der Politologe Carlo Masala sieht das freie, souveräne Europa gefährdet und spricht über berechtigte Sorgen der Ukraine.

Das Logo der Nato. Symbolbild.
Nato steht für "Organisation des Nordatlantikvertrages".
Quelle: Stefan Puchner/dpa/Archiv

ZDFheute: Der Konflikt zwischen Russland und der Nato destabilisiert Europa. Beide Seiten werfen sich aggressives, gefährliches Verhalten vor. Welche Optionen sehen Sie für mehr Kooperation statt Konfrontation?

Carlo Masala: Eine Möglichkeit der Kooperation, die den zentralen Punkt der Sicherheit in und für Europa betrifft, ist die Wiederaufnahme verschiedener Rüstungskontrollgespräche. Das hat US-Präsident Joe Biden vorgeschlagen.

Wichtige Abrüstungs- und Konfliktverhütungsabkommen wie der INF-Vertrag oder "Open Skies" sind in den vergangenen Jahren aufgegeben worden - mal von der Russischen Föderation, mal von den US-Amerikanern.

Das Gesprächsangebot Bidens über neue Rüstungskontrolle ist ein wichtiges Instrument, das Spannungen in Europa erheblich reduzieren kann.
Carlo Masala, Professor für Internationale Politik

ZDFheute: Russland wiederum hat nun noch einmal explizit den völligen Abzug von US-Soldaten aus Mittel- und Osteuropa gefordert.

Masala: Das ist den Russen besonders wichtig, aber das ist für die mittel- und osteuropäischen Staaten inakzeptabel, weil es ihre Sicherheit sehr schwächen würde. Es würde zudem das innere Gefüge der Nato stark verändern.

Ich sehe deshalb nicht, dass die USA auf Russlands Forderung eingehen werden. Sie haben aber Gespräche angeboten über eine mögliche Reduktion von Militärmanövern im Baltikum, in den mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten und in der Nähe des Schwarzen Meers. Darauf sind die Russen aber bislang nicht eingegangen.

ZDFheute: Viele Leserinnen und Leser können nachvollziehen, dass sich Russland von der Nato bedrängt fühlt. Andere fragen: Wäre es nicht möglich, Russland als Partner in das Bündnis aufzunehmen?

Masala: Es gab diese Diskussion bereits unter dem ehemaligen russischen Staatspräsidenten Boris Jelzin. Wenn Russland das wollte, müsste es wie jedes andere beitrittswillige Land durch den "Membership Action Plan" gehen.

Dieser sieht unter anderem eine zivile Kontrolle des Militärs vor. Russland müsste eine umfassende Reform des verteidigungspolitischen Sektors vornehmen.

Daran hat Russland aber kein Interesse und so, wie das Land heute ist, könnte es auch nicht in die Nato aufgenommen werden.

Einen autoritären Staat wie Russland, wo unter anderem Wahlen systematisch gefälscht werden, in die Nato aufzunehmen, würde den Standards einer wertebasierten Allianz zutiefst widersprechen.
Carlo Masala, Professor für Internationale Politik

ZDFheute: Sie haben auf die Möglichkeit neuer Rüstungskontrollgespräche hingewiesen. Welche weiteren Optionen haben der Westen und Russland, wieder ein vertrauensvolleres Verhältnis aufzubauen?

Masala: Es ist nicht so, dass der Westen in den vergangenen Jahren keine Angebote gemacht hätte. Man könnte wieder stärker den Nato-Russland-Rat nutzen und Gesprächsforen der Europäischen Union und Russlands.

Zudem sitzen die USA, Russland und die europäischen Staaten im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, an einem Tisch. Seit längerem war aber der Wille Russlands nicht vorhanden, innerhalb dieser Foren zu kooperieren.

ZDFheute: Inzwischen laufen die Gespräche wieder auf vielen Kanälen. Vor allem auch mit Blick auf die von Russland geforderte Neutralität der Ukraine. Manche reden von einem Modell "Schweiz des Ostens".

Masala: Ich befürchte, dass es darauf hinauslaufen wird. Darauf deuten Aussagen von Biden, Scholz, Macron und anderen Politikern, die betonen, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine überhaupt nicht zur Debatte stünde.

Ich denke, dass man verzweifelt nach einer Formulierung sucht, die Russland als Erfolg verkaufen kann und gleichzeitig für die Nato gesichtswahrend erscheint; also nicht allzu offensichtlich ist, dass die "Politik der offenen Tür" beendet wird.
Carlo Masala, Professor für Internationale Politik
Wladimir Putin am 15.02.2022 in Moskau

Russland-Ukraine-Konflikt - Putins Politik: Bedrohung oder Bluff? 

Der Westen befürchtet eine Invasion Russlands in die Ukraine. Woher das gegenseitige Misstrauen kommt, was Putin antreibt und wie es so weit kommen konnte.

von Anne Brühl und Linda Kierstan

Das würde aber auch bedeuten: Wir sind zurück in einer Ära, in der Großmächte rücksichtslos über das Schicksal kleinerer Staaten bestimmen. Das wäre ein fundamentaler Wandel in der europäischen Sicherheitspolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts.

ZDFheute: Und die Ukrainer?

Masala: Hätten in dem Fall zu Recht das Gefühl, dass ihr Wille wenig zählt. Zur Erinnerung: Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat die Ukraine ihre Nuklearwaffen aufgegeben und dafür Sicherheitsgarantien von Amerikanern, Briten und Russen bekommen. Das hat die Russen aber nicht daran gehindert, 2014 in die Ukraine einzumarschieren, die Krim zu annektieren und die Ostukraine zu destabilisieren.

Warum zum Teufel sollte die Ukraine einem solchen Deal nochmals zustimmen, wo sie bereits die Erfahrung gemacht hat, dass Sicherheitsgarantien nicht das Papier wert sind, auf dem sie verfasst werden.

Das Interview führte Marcel Burkhardt.

Zur Merkliste hinzugefügt Merken beendet Bewertet! Bewertung entfernt Zur Merkliste hinzugefügt Merken beendet Embed-Code kopieren HTML-Code zum Einbetten des Videos in der Zwischenablage gespeichert.
Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen des ZDF.

Sie haben sich mit diesem Gerät ausgeloggt.

Sie haben sich von einem anderen Gerät aus ausgeloggt, Sie werden automatisch ausgeloggt.

Ihr Account wurde gelöscht, Sie werden automatisch ausgeloggt.

Um Sendungen mit einer Altersbeschränkung zu jeder Tageszeit anzuschauen, kannst du jetzt eine Altersprüfung durchführen. Dafür benötigst du dein Ausweisdokument.

Zur Altersprüfung

Du bist dabei, den Kinderbereich zu verlassen. Möchtest du das wirklich?

Wenn du den Kinderbereich verlässt, bewegst du dich mit dem Profil deiner Eltern in der ZDFmediathek.

Du wechselst in den Kinderbereich und bewegst dich mit deinem Kinderprofil weiter.

An dieser Stelle würden wir dir gerne die Datenschutzeinstellungen anzeigen. Entweder hast du einen Ad-Blocker oder ähnliches in deinem Browser aktiviert, welcher dies verhindert, oder deine Internetverbindung ist derzeit gestört. Falls du die Datenschutzeinstellungen sehen und bearbeiten möchtest, prüfe, ob ein Ad-Blocker oder ähnliches in deinem Browser aktiv ist und schalte es aus. So lange werden die standardmäßigen Einstellungen bei der Nutzung der ZDFmediathek verwendet. Dies bedeutet, das die Kategorien "Erforderlich" und "Erforderliche Erfolgsmessung" zugelassen sind. Weitere Details erfährst du in unserer Datenschutzerklärung.

An dieser Stelle würden wir dir gerne die Datenschutzeinstellungen anzeigen. Möglicherweise hast du einen Ad/Script/CSS/Cookiebanner-Blocker oder ähnliches in deinem Browser aktiviert, welcher dies verhindert. Falls du die Webseite ohne Einschränkungen nutzen möchtest, prüfe, ob ein Plugin oder ähnliches in deinem Browser aktiv ist und schalte es aus.