Alexej Nawalnys Ehefrau, Julia Nawalnaya, steht seit 22 Jahren an der Seite des schärfsten Kreml-Kritikers. Jetzt ist ihr Mann in Haft. Kann sie ihn ersetzen?
Eine rote Bluse. Ein rotes Kleid. Ein roter BH. Eine rote Jacke. Wer in diesen Tagen auf Instagram nach dem Hashtag "Sei nicht traurig, alles wird gut" (#негрустивсебудетхорошо) sucht, sieht Rot. Viele Russinnen und Russen posten Selfies in roter Kleidung.
Sie machen das als Zeichen der Unterstützung für Julia Nawalnaya, der Ehefrau von Alexej Nawalny. Der hatte bei seiner Gerichtsverhandlung am Dienstag eben jene Worte an seine Gattin gerichtet: "Sei nicht traurig, alles wird gut!" Und Nawalnaya war in einem auffälligen roten Kleidungsstück vor Gericht erschienen.
An seiner Seite - seit 20 Jahren mit Nawalny verheiratet
Der Putin-Gegner und die Ökonomin: seit 22 Jahren ein Paar, zwei Kinder, beide 44 Jahre alt. Julia Nawalnaya hat in Moskau studiert und dort auch ihren Abschluss gemacht. Sie haben sich im Urlaub kennengelernt. Als ihr Mann im August im Koma liegt, feiert sie am Krankenbett ihr 20-jähriges Ehe-Jubiläum.
Nawalnaya, so scheint es, ist die Partnerin, die stolz erträgt, was das russische Regime mit ihrem Gatten tut. Jede Inhaftierung, jede Verurteilung, jeder neue Prozess - Nawalnaya ist dabei.
An seiner Stelle?
Kann Julia Nawalnaya die Position ihres Mannes einnehmen? Es ist ein Gedankenspiel, aber eines, das gerechtfertigt ist. Alexej Nawalny wird für lange Zeit in Haft bleiben, mindestens für zwei Jahre und acht Monate. Kann seine Frau seine Stelle als Anführerin der Oppositionsbewegung einnehmen? Kann sie eine russische Svetlana Tichanowskaja werden?
"Das ist durchaus eine Variante", sagt Kirill Rogow, Politikexperte in Moskau. "Einer Frau als Anführerin unterstellt man nicht von vornherein Machtgier. Das hat auch das Beispiel Belarus gezeigt."
Ansehen und Ansinnen
Die renommierte Zeitung "Nowaja Gaseta" kürte Julia Nawalnaya zur "Heldin des Jahres". Die resolute Frau dürfte inzwischen ähnliche Bekanntheitswerte haben wie ihr Mann, der durch den Nervengiftanschlag fast zu Tode gekommen ist.
Spätestens seit der Vergiftung im letzten Jahr, für den Nawalny den Geheimdienst FSB verantwortlich macht und damit letztendlich Staatschef Wladimir Putin selbst, spätestens, seitdem sie in einem Brief von Putin persönlich die Ausreise nach Deutschland verlangte, dürfte sie ins Rampenlicht gerückt sein. Und zwar als mutige, durchsetzungsfähige, willensstarke Persönlichkeit.
Profil und Perzeption
Aber hat Julia Nawalnaya dieselbe Aura, die Führungskompetenz und das Talent zur strategischen Provokation wie ihr Mann? Politisch dürfte sie noch nicht so profiliert sein wie er.
Eine gute Wahl wäre sie trotzdem, findet Rogow: "Es dürfte schwerfallen, einer Frau vorzuwerfen, sie ließe sich durch Macht korrumpieren."
Rollentausch mit Risiko
Noch ist unklar, wie die verbleibenden Aktivisten um Alexej Nawalny die Proteste fortführen wollen. Zuletzt sagte Leonid Wolkow, ein Nawalny-Vertrauter, der zurzeit im Ausland lebt, man würde in naher Zukunft nicht zu neuen Demonstrationen aufrufen. Dies habe strategische Gründe. Vielleicht braucht die Organisation schlicht Zeit, sich neu aufzustellen nach den Massenverhaftungen der vergangenen Wochen.
Sollte Julia Nawalnaya dabei eine führende Rolle zugedacht werden, wäre das aber auch riskant für ihren Mann. "Man darf vermuten, dass man in einem solchen Fall Druck auf sie ausüben wird oder versucht, sie zu erpressen. Man wird ihr zu verstehen geben, dass ihr politisches Engagement seine Lage verschlechtern wird", meint Politexperte Rogow.
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Nachricht von Nawalny
Kreml-Kritiker Alexej Nawalny hat den Demonstranten in Russland Mut gemacht. Er rief seine Anhänger dazu auf, den Druck von der Straße aufrechtzuerhalten.