Motiv: Rätselhaft: Wer steckt hinter dem Pipeline-Angriff?

    USA, Ukraine, Russland:Wer steckt hinter dem Pipeline-Angriff?

    von Hans Koberstein
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    Vieles deutet darauf hin, dass ein Staat hinter dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines steckt. Die Ermittlungen laufen noch. Ein Blick auf die Motivlage zeigt: Nichts ist klar.

    Archiv: Gasleck an der Nord-Stream-Pipeline
    Gasleck an der Nord-Stream-Pipeline
    Quelle: AP

    Wer hat die Nord Stream-Pipelines im September 2022 in der Ostsee gesprengt? Vieles spricht für einen Staat als Urheber. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Doch der eine oder die andere hat schon einen handfesten Verdacht.

    "Die USA sind es gewesen!"

    Spätestens seit der Veröffentlichung des Investigativreporters Simon Hersh sind viele überzeugt: Die USA stecken hinter dem Anschlag. Das Land verfügt über die Mittel, einen solch komplizierten Anschlag auszuführen. Das vermutete Motiv: Die USA wollten schon immer die verhasste Pipeline Nord Stream 2 beenden, und Russland damit schaden. Außerdem wollen die USA ihr Fracking-Gas nach Europa verkaufen und damit Geld verdienen.

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    Gasleck an der Nord-Stream-Pipeline

    Was dagegen spricht

    Nord Stream 2 war als Pipelineprojekt bereits tot und begraben, als im September 2022 die Röhren detonierten.
    Donald Trump hatte als US-Präsident Nord Stream 2 noch bitter bekämpft. Sein Nachfolger Joe Biden aber leitete einen Strategiewechsel ein, verzichtete auf Sanktionen uns suchte gleich zu Beginn seiner Amtszeit 2021 mit Angela Merkel nach einer Lösung für Nord Stream 2. Der mögliche Kompromiss: Die US-Regierung toleriert die Pipeline, wenn Deutschland die Ukraine entschädigt und im Energiebereich unterstützt.
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    Als dann Anfang Februar 2022 Russlands Truppen an der ukrainischen Grenze aufmarschierten, kündigten US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz in einer gemeinsamen Pressekonferenz harte Sanktionen gegen Russland an, sollte der Kreml die Ukraine angreifen. Joe Biden versprach:

    Wenn Russland einmarschiert - das heißt, wenn Panzer über die Grenze fahren -, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben, wir werden dem ein Ende setzen.

    Joe Biden, US-Präsident

    "Wenn Russland (in die Ukraine) einmarschiert, Panzer die Grenze überqueren, wird es kein Nord Stream 2 mehr geben, dann werden wir das beenden", sagte Biden. Olaf Scholz stimmte dieser Aussage zu, indem er direkt im Anschluss sagte:

    "Wir haben uns intensiv vorbereitet, darauf, dass wir die Sanktionen konkret ergreifen können, falls es zu einer militärischen Aggression gegen die Ukraine kommt."

    Olaf Scholz, Bundeskanzler

    So kam es dann. Am 22.02.2022, dem Tag der Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken Luhansk und Donetsk durch die russische Staats-Duma, stoppte Deutschland die Genehmigung für Nord Stream 2. Damit war die Ankündigung von Biden und Scholz schon zwei Tage vor dem russischen Angriffskrieg umgesetzt: Nord Stream 2 war Geschichte. Für die US-Regierung bestand kein Grund, eine bereits gestoppte Pipeline zu zerstören.
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    Verkauf von Fracking-Gas als Motiv?

    Und wie sieht es mit der Pipeline Nord Stream 1 aus? Deutschland bezog einen großen Teil seines Erdgases über diese Röhre, und die USA wollten ihr Fracking-Gas verkaufen – ist das ein Motiv?
    Dagegen sprechen zwei Gründe:
    • Erstens war die Nachfrage nach US-Fracking-Gas weltweit seit 2021 bereits stark gestiegen, die USA hatten keine Probleme, ihr Gas teuer zu verkaufen und litten selbst aufgrund hoher Preise unter der großen Nachfrage.
    • Zweitens steckte Deutschland in einer tiefen Gas-Krise, es drohte eine schwere Rezession. Die US-Regierung hätte mit einem Anschlag auf Nord Stream 1 einen ihrer wichtigsten Verbündeten im Krieg wirtschaftlich geschwächt, was gegen die US-Interessen ist.

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    Das Nord Stream 1-Gasleck in der Ostsee, fotografiert von dem Satelliten Pléiades Neo.

    "Russland ist es gewesen!"

    Russland hatte bereits vor dem Angriff auf die Ukraine damit begonnen, Deutschland unter Druck zu setzen. Gazprom drosselte Gaslieferungen und leerte Gasspeicher in Deutschland. Nach Kriegsbeginn dann verursachte der Kreml eine Art "Finanzkrise 2.0" im Gasmarkt: Gazprom ließ seine deutsche Tochter, das Schwergewicht Gazprom Germania fallen.
    Dann stieß der Kreml den größten deutschen Gashändler Uniper in den Abgrund, indem Gazprom nicht vereinbarte Mengen lieferte. Uniper stand vor der Pleite, musste verstaatlicht werden. Etwa einen Monat vor dem Anschlag stoppte Russland alle Gaslieferungen auch über Nord Stream 1.
    Das Motiv von Russland: Deutschland zu destabilisieren, der Wirtschaft zu schaden damit der Druck auf die Bundesregierung wächst, sich aus dem Krieg herauszuhalten, die Ukraine nicht weiter zu unterstützen.

    Was dagegen spricht

    Jahrzehntelang waren Russlands Gaspipelines nach Deutschland wie der sprichwörtliche Goldesel, der goldene Dukaten scheißt. Warum also sollte Russland sich selbst schaden, indem es die gewinnbringenden Pipelines zerstört?
    Russland hatte schon vor der Zerstörung der Pipelines gezeigt, dass es bereit ist, sich selbst wirtschaftlich zu schaden, wenn das Ziel erreicht wird, Deutschland zu schwächen: Gazprom ließ Gazprom Germania fallen und stellte seine Lieferungen nach Deutschland fast vollständig ein.
    Allerdings hat Russland nach der Sprengung das Druckmittel, Gas über Nord Stream 1 zu liefern, und damit auch wieder Geld zu verdienen, für lange Zeit aus der Hand gegeben. Das ist gegen die Interessen Russlands.
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    "Die Ukraine ist es gewesen!"

    Die Ukraine forderte seit Kriegsbeginn den Importstopp russischen Gases nach Deutschland, um Russland die Einnahmequelle für seine Kriegskasse zu nehmen. Für einen Importstopp sorgte schließlich nicht Deutschland, sondern Gazprom selbst, indem es alle Lieferungen über Nord Stream einstellte. Die Sprengung der Pipelines sorgte dafür, dass Gazprom seine Lieferungen über Nord Stream nicht wieder aufnehmen kann. Das liegt im Interesse der Ukraine.
    Von Beginn an war die Ukraine gegen das Nord Stream-Projekt, weil es Russland erlaubte, der Ukraine den Gashahn zuzudrehen, und gleichzeitig den Westen weiter mit Gas zu beliefern und damit viel Geld zu verdienen.
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    Was dagegen spricht

    Die Ukraine braucht Deutschland an seiner Seite und will, dass Deutschland weiterhin Waffen liefert. Der Anschlag auf Nord Stream setzte die deutsche Wirtschaft weiter unter starken Druck, Beobachter befürchteten einen heißen Herbst und harten Winter in Deutschland, mit schwindender Unterstützung für die ukrainische Sache. Das wiederum liegt nicht im Interesse der Ukraine.
    Hans Koberstein ist Redakteur bei ZDF Frontal.

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