Nord Stream: Laut Experten keine Belege für US-Sabotage
Gerüchte zu Nord-Stream-Sabotage:Experten: Keine Belege für US-Beteiligung
von Nils Metzger
01.10.2022 | 20:22
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Befeuert von Russland mutmaßen Verschwörungsfans über eine US-Beteiligung an der Sabotage der Nord-Stream-Pipelines. Experten halten das für unwahrscheinlich und Desinformation.
Wer hat Nord Stream sabotiert? Ein dänisches Marine-Schiff untersucht das Gasleck in der Ostsee.
Quelle: Reuters
Wer die Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee durchgeführt hat, ist bislang nicht geklärt. Nahezu alle Fragen sind unbeantwortet. Dennoch treffen Expertinnen und Experten auf Basis vorliegender Informationen Einschätzungen, welche Szenarien wahrscheinlicher sind als andere. Die große Mehrheit hält eine Beteiligung Russlands für die naheliegendste Option.
Kreml greift dankbar alternative Theorie auf
Teile des Internets und die russische Propaganda entwerfen jedoch ein alternatives Szenario: die USA könnten dahinterstecken. Und diese Theorie verfängt. Verschwörungsideologische Alternativmedien, der Fox-News-Journalist Tucker Carlson, individuelle Politiker der AfD und Linken und Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen - sie alle suggerieren mehr oder weniger offen Beteiligung oder Mitwisserschaft von USA und Nato.
Dass reichweitenstarke Multiplikatoren auf die Mutmaßungen aufspringen, wird in Russland dankbar aufgegriffen. Das staatliche Fernsehen zeigte die Tucker-Carlson-Ausschnitte und Präsident Wladimir Putin wiederholte die Gerüchte in seiner Annexions-Rede am Freitag. Bewusst und unbewusst spielen sich US- und Nato-Kritiker mit dem Kreml gegenseitig argumentative Bälle zu.
Die angebliche Beweiskette ist dünn. Vor allem drei Punkte werden angeführt:
Die Meinung eines polnischen Ex-Ministers: In einem inzwischen gelöschten Tweet dankte der frühere polnische Außenminister Radoslaw Sikorski den USA für die Zerstörung der Pipelines. Die polnische Regierung kritisierte den Tweet als falsch und verantwortungslos. Woher ausgerechnet Sikorski solch eine brisante Information hätte haben sollen, ist unklar.
Eine Pressekonferenz von US-Präsident Joe Biden vom 7. Februar, bei der er bekundete, Nord Stream 2 zu stoppen, sollte Russland in die Ukraine einmarschieren: "Wir werden in der Lage sein, das zu tun." Die USA hatten Deutschland seit Jahren politisch unter Druck gesetzt, das Projekt zu beenden. In diesem Kontext fiel Bidens Aussage; als versteckte Drohung mit Sabotage hat das damals keiner der Beteiligten verstanden.
In der Zeit vor der Beschädigung der Pipelines waren eine Reihe von US-Kriegsschiffen in der Ostsee unterwegs. Es wird ein Zusammenhang suggeriert, aber weder gibt es dafür belastbare Anhaltspunkte, noch ist dieser Vorgang ungewöhnlich.
US-Präsident Biden im Februar
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Mittel, Gelegenheit und Motive müssen gegeben sein
In der Abteilung für Maritime Strategie und Sicherheit am Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel sorgt die Sabotage an Nord-Stream-Pipelines für große Geschäftigkeit. Die Kieler Experten werden bundesweit gerade um Einschätzungen gebeten - und halten eine Verantwortung Russlands für aktuell am wahrscheinlichsten.
Der Desinformations-Krieg des Kremls hat für die Forschenden spürbare Folgen: "Die letzten Tage ist bei uns viel unwillkommene Fanpost aufgelaufen", berichtet ein Mitarbeiter ZDFheute. Darum möchte er aktuell nicht namentlich mit Einschätzungen zu Nord Stream zitiert werden – betont aber auch: "Wir sind unabhängige Wissenschaftler und wir lassen uns nicht einschüchtern."
Das Wesen insbesondere des hybriden Krieges ist es, 'plausible Verschleierung' zu betreiben – und immer wieder darauf zu drängen, dass dieses oder jenes weder 100 Prozent zu beweisen noch auszuschließen sei.
Mitarbeiter des Instituts für Sicherheitspolitik der Universität Kiel
"Methodisch sauber entkräftet man Spekulationen über eine US-Beteiligung größtenteils, in dem man prüft, ob die USA die Mittel, die Gelegenheit und Motive hätten", so der Forscher. Alle drei müssten vorliegen - "Ist ein Faktor Null, ist auch das Ergebnis Null."
Experte: Schiffsbewegungen der US-Marine sind "normal"
Indizien oder gar Beweise für ein Motiv der USA fehlten schlichtweg:
Es fällt schwer, ohne Tom-Clancy-Fiktionen Motive des US-Präsidenten oder anderer Akteure zu konstruieren. Die Spekulationen sind nicht plausibel.
Mitarbeiter des Instituts für Sicherheitspolitik der Universität Kiel
In demokratischen Staaten hätten so anspruchsvolle Aktionen Aktenvermerke zur Folge; diese könnten potenziell öffentlich werden, betont der Marine-Experte.
Kein überzeugendes Argument seien US-Schiffe in relativer Nähe zu den Explosionsstellen: Diese Schiffe operierten als Teil der Nato regelmäßig, in engster Kooperation mit den Bündnispartnern und von internationalem Recht gedeckt in der Ostsee. Aus der Entfernung zu den Explosionsstellen könne man ebenfalls nicht zwingend etwas ableiten. Die Ostsee sei relativ flach, mit vielen Anrainerstaaten, teils zerklüfteten Küstenlinien und viel Schifffahrt. "Es ist schwer vorstellbar, dass ein solcher Verband unbemerkt an einer Stelle aufstoppt und Operationen ausführt."
Ihre Position per Transponder übermitteln müssen Schiffe ab 300 Tonnen. "Kriegsschiffe schalten diese aber routinemäßig aus. Darüber hinaus wissen wir um die Möglichkeit der gezielten Manipulation und Verschleierung", so der Marine-Experte. Einzelne Schiffsbeobachtungen oder deren Fehlen sind also auch kein zwingendes Argument in die eine oder andere Richtung. Die großen Landungsschiffe der US-Marine hätten zudem schlichtweg nicht die Mittel, solche Sabotageakte durchzuführen, da sie keine Unterwasserfähigkeiten haben.
Welches Motiv hätte Russland, die eigene Pipeline hochzujagen?
Teils wird auch per Ausschluss argumentiert: Russland werde ja wohl kaum die eigene Pipeline sabotieren, also müssen es die USA gewesen sein. Den Russland-Experten und früheren CDU-Mitarbeiter Nico Lange überzeugt das nicht.
Russland kann mit den Pipelines keinen Druck mehr aufbauen, weil sich Deutschland und die anderen europäischen Staaten auf Putins Russland als Gaslieferanten nie wieder einlassen werden.
Russland-Experte Nico Lange
Je mehr sich die europäischen Gasspeicher für den Winter gefüllt haben, desto weniger funktionierte Moskaus Druckmittel, den Gashahn auf und wieder zuzudrehen. Die Sabotage einer weitgehend wertlosen Pipeline könnte für Russland nun ein Versuch sein, Misstrauen unter Verbündeten und in den Gesellschaften Europas zu säen. Auch für diese Theorie gibt es bislang aber keine handfesten Belege.
"Putin kennt die deutschen Debatten genau und nutzt Vorurteile gezielt. Putin setzt auf Antiamerikanismus, bekannte Mythen und Verschwörungstheorien - dort setzt er mit seiner Desinformation an", sagt Lange ZDFheute. "Russland setzt sowohl auf bezahlte und gesteuerte Verbreitung der Desinformation bei uns als auch auf 'nützliche Idioten', die die russische Desinformation von sich aus verbreiten." Es sei traurig, dass wir Sicherheit und Wohlstand seit Jahrzehnten einer Absicherung durch Nato und USA verdankten - und dennoch so viel unsinniger Hass kursiere, so Lange.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.