"ZDF Magazin Royale" veröffentlicht NSU-Akten

    Als geheim eingestufte Dokumente:Böhmermann veröffentlicht hessische NSU-Akten

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    Der Bericht über die Rolle von Hessens Verfassungsschutz in Bezug auf den NSU sollte geheim bleiben. Das ZDF Magazin Royale und das Projekt FragDenStaat haben ihn veröffentlicht.

    Bis zum Jahr 2134 - also 120 Jahre lang - sollte der NSU-Bericht über die Arbeit des hessischen Verfassungsschutzes unter Verschluss bleiben, später wurde die Frist auf 30 Jahre - bis zum Jahr 2044 - herabgesetzt.
    Das ZDF Magazin Royale von Jan Böhmermann und das Projekt FragDenStaat haben die geheimen Akten jetzt veröffentlicht. Bei dem abrufbaren Dokument handelt es sich laut Deckblatt um einen Abschlussbericht zur Aktenprüfung im Landesamt für Verfassungsschutz Hessen im Jahr 2012. Der Bericht ist auf den 20. November 2014 datiert. Auf der dazu eingerichteten Webseite heißt es:

    Wir glauben, die Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, was genau in jenen Dokumenten steht, die ursprünglich für mehr als ein Jahrhundert geheim bleiben sollten.

    Um die Quellen zu schützen, seien die Akten komplett abgetippt und ein neues Dokument erstellt worden, um keine digitalen Spuren zu hinterlassen, schrieb Böhmermann auf Twitter.
    Jan Böhmermann äußert sich auf Twitter
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    NSU-Bericht sollte lange gesperrt bleiben

    Untersucht wurde in dem Bericht nicht der rechtsextreme Nationalsozialistische Untergrund (NSU), auf dessen Konto viele Morde gehen, sondern der hessische Verfassungsschutz und seine Rolle in Bezug auf die Taten des NSU.

    Der NSU hatte über Jahre unerkannt mordend durch Deutschland ziehen können. Die Opfer: neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft und eine deutsche Polizistin. Die Rechtsterroristen verübten außerdem zwei Bombenanschläge mit Dutzenden Verletzten und etliche Banküberfälle.

    Einer der Morde wurde 2006 in Kassel verübt. Die beiden Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich 2011 getötet, um der Festnahme zu entgehen. Als einzige Überlebende des NSU-Trios wurde Beate Zschäpe als Mittäterin zu lebenslanger Haft verurteilt - auch wenn es nie einen Beweis dafür gab, dass sie selbst an einem der Tatorte war.

    Der hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) hatte im Juni 2012 die systematische Aufarbeitung der Aktenbestände angeordnet - die Akten der vorangegangenen Jahre sollten im Hinblick auf Rechtsextremismus geprüft werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in dem NSU-Bericht zusammengetragen und sollten gesperrt bleiben.
    Als Gründe für die Geheimhaltung wurden offiziell die detaillierten Anhänge genannt, in denen aufgelistet ist, welche Informationen über die rechte Szene von sogenannten V-Leuten dem Verfassungsschutz übermittelt wurden.

    Verfassungsschutz sammelte umfangreiche Daten

    Laut ZDF Magazin Royale und FragDenStaat offenbare sich in den als geheim eingestuften Dokumenten "ein mehr als zweifelhaftes Bild von der Arbeit des hessischen Verfassungsschutzes; vor allem während der 90er Jahre".
    Auf der Website heißt es über die umfangreiche Datensammlung: "Zu dieser Zeit sammelte der Dienst zwar umfangreiche Daten, hatte dabei aber weder den Überblick über seinen Bestand, noch folgten aus den gesammelten Informationen stets Konsequenzen."

    2021: Hessens Innenminister verteidigt Geheimhaltung

    Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte im Mai 2021 die Entscheidung verteidigt, die Akten nicht zu veröffentlichen. "Für die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden ist es immanent, dass sie ihre Arbeitsweise nicht für jeden offenlegen können", sagte er damals im Landtag in Wiesbaden.

    Ansonsten könnten die Verfassungsfeinde selbst diese Informationen nutzen, um unsere gemeinsamen Werte zu bekämpfen oder Menschen gezielt zu gefährden.

    Peter Beuth, Innenminister von Hessen

    Er verwies darauf, dass das zuständige Parlamentarische Kontrollgremium Verfassungsschutz vollumfängliche Akteneinsichtsrechte besitze und jederzeit sämtliche Informationen des Verfassungsschutzes einsehen könne.

    Holger Bellino pocht auf rechtsstaatliche Grundsätze

    Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Holger Bellino bedauert auf Anfrage von ZDFheute die Veröffentlichung der Dokumente:

    Sehr bedauerlich und aus unserer Sicht ein Verstoß gegen die Geheimhaltungsvorschriften.

    Holger Bellino, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion

    "Es ist nicht auszuschließen, dass Extremisten durch die Verknüpfung dieser Informationen mit Informationen aus anderen Dokumenten Rückschlüsse auf Arbeitsweise und Informanten der Sicherheitsbehörden ziehen können. Dadurch könnten Menschenleben gefährdet und die Arbeit der Sicherheitsbehörden nachhaltig erschwert werden"", erklärte Bellino.
    Über Konsequenen entscheide der Hersteller der Verschlusssache, in diesem Fall also das Landesamt für Verfassungsschutz oder das ihm übergeordnete Hessische Ministerium des Innern und für Sport. "Zu einer gut funktionierenden Demokratie gehört natürlich auch eine gut arbeitende Presse. Diese sollte sich aber auch nicht über rechtsstaatliche Grundsätze hinwegsetzen", so Bellino.
    Ein wesentlicher Bestandteil unserer freiheitlichen Grundordnung sei, dass Bürger nicht überwacht werden dürften, erklärt der CDU-Politiker. Beweismittel, Zeugenaussagen oder Geständnisse dürften nur rechtsstaatlich erlangt werden. "Dies hat zur Folge, dass manche Taten leider nicht restlos aufgeklärt werden können. Wie zum Beispiel beim NSU oder auch bei den vielen noch ungeklärten Morden der Roten Armee Fraktion. Wenn wir diese rechtsstaatlichen Grundsätze aufgeben, haben die Extremisten einen Teil ihrer Ziele erreicht!"
    Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) teilte in einer Erklärung mit, es prüfe die veröffentlichten Dokumente. Bei daraus folgenden erforderlichen Maßnahmen, vor allem "im Hinblick auf enthaltene personenbezogene Daten und tangierte Staatswohlbelange", stehe man "im Austausch mit den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden". Nähere Angaben wollte ein Sprecher dazu nicht machen.

    Petition forderte Veröffentlichung

    Um die Akten gibt es seit Jahren Streit. Zehntausende Personen hatten in einer Petition die Veröffentlichung gefordert. Die Initiatoren der Petition erhofften sich neue Erkenntnisse über die Morde der rechtsextremen Terrorzelle NSU und mögliche Verbindungen zum Mord an Kassels Regierungspräsidenten Walter Lübcke.
    Quelle: ZDF, dpa, AFP

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