Der Tatverdächtige im Fall um die "NSU 2.0"-Drohbriefe war kein Polizist. Eine Nachricht, die besonders für die hessische Polizei eine positive sein dürfte.
Tonnenschwere Last dürfte von den Schultern der 14.000 hessischen Polizistinnen und Polizisten gefallen sein, als am Montag spätabends die Meldung von der Festnahme des mutmaßlichen "NSU-2.0"-Drohbriefschreibers die Runde machte. "Er war zu keinem Zeitpunkt Bediensteter einer hessischen oder sonstigen Polizeibehörde", schreibt die Staatsanwaltschaft.
Ein 53-jähriger Mann, zuvor schon rechtskräftig verurteilt wegen zahlreicher auch politisch rechts motivierter Straftaten, steht im Verdacht, für 115 Briefe mit widerwärtigsten Drohungen verantwortlich zu sein. Sein Ziel: vor allem Frauen, die sich entweder für Minderheiten einsetzen, gegen Neurechte und alte Nazis kämpfen oder die einfach nur politisch links von ihm standen. Und das sind für einen Neo-Nazi so ziemlich alle.
Sensible Daten wurden von Polizei-Computern abgefragt
Dass vor allem hessische Polizistinnen und Polizisten aufatmen, hat seinen Grund. Von Polizei-Computern in Hessen – aber auch in Hamburg und Berlin – waren sensible Daten mancher Briefe-Empfängerin abgefragt worden. Auch solche, die vorsorglich beim Einwohnermeldeamt gesperrt waren, um die Frauen zu schützen.
Auf die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yildiz hatte es Alexander M. besonders abgesehen. Die NSU-Opfer-Anwältin war am 2. August 2018 das erste Opfer des Hass-Briefe-Schreibers; mehr als ein Dutzend weitere Ausgüsse an frauenhassenden Gewaltfantasien folgten.
"Rechtes Netzwerk" in der Polizei?
Schon fünf Wochen nach dem ersten Brief der erste Ermittlungserfolg: Die Daten von Frau Başay-Yildiz hatte eine Polizistin vom Frankfurter 1. Revier abgefragt, es gibt einen zeitlichen Zusammenhang, Durchsuchungen folgen, die Chatgruppe der Polizistin mit mehreren Kollegen ist voller fremdenfeindlicher und rechter Inhalte. Suspendierungen, Entlassungen, immer neue Ermittlungen – weitere Fälle kommen ans Tageslicht.
Auch die Regierungsparteien in Hessen wollen ein "Rechtes Netzwerk" in der Polizei nicht mehr ausschließen. Als 2020 die Linken-Fraktionsvorsitzende Janine Wissler wiederholt Drohbriefe erhält, und ihre Daten diesmal von einem Wiesbadener Polizei-Computer stammen, ist Hessens Innenminister Peter Beuth nicht rechtzeitig informiert. Es sieht aus, als habe er seinen Apparat nicht mehr im Griff. Sein Landespolizeipräsident nimmt den Hut, ein Sonderermittler kommt.
Täter bleibt lange getarnt
Zweimal erfolgen Festnahmen von Verdächtigen, in Bayern und Schleswig-Holstein, jedes Mal handelt es sich um Trittbrettfahrer. Der wahre Täter tarnt sich gerissen in den Tiefen des Darknet, und schreibt weiter wie enthemmt seine Drohmails. Und die Ermittler des hessischen Landeskriminalamtes und der Staatsanwaltschaft sehen sich immer wieder Häme und Spott ausgesetzt. Wie kann es denn sein, dass man den Briefeschreiber nicht findet?
Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Frauen und Männer auf der Brennsuppe dahergeschwommen sind. In diesen Behörden arbeiten auch jene Experten, die immer wieder Darknet-Plattformen auffliegen lassen. Sie beherrschen ihr Handwerk. Und sie werden jedes Steinchen bei den Kolleginnen und Kollegen umgedreht haben, die unberechtigt Daten der Opfer abgefragt hatten. Hätte sich da eine Spur zum Briefeschreiber ergeben, sie hätten sie entdeckt.
Woher hatte der Täter seine Informationen?
-
-
Analyse der Computer des Täters steht bevor
Könnte es denn sein, dass der Täter seine Kenntnisse (es geht etwa um Wohnadressen, Vornamen von Kindern oder Angehörigen) auch auf andere Weise erlangt hat, als über einen Polizisten? Zumal es sich um einen versierten Computer-Freak zu handeln scheint? Dass es zwar eine zeitliche Korrelation zwischen Datenabfrage und mancher Drohmail gab, nicht aber einen kausalen Zusammenhang?
Wie es heißt, wurde der mutmaßliche Täter auf frischer Tat ertappt; seine Computer waren offen. Jetzt schlägt die Stunde der Daten-Forensiker. Sie werden sicher eine Menge lernen können. Und sollte es einen Bezug zur Polizei geben, dann sind härteste Konsequenzen fällig. Gibt es aber keinen Zusammenhang mit den nicht autorisierten Datenabfragen von Polizeirechnern, dann sollte manch einer schon überlegen, mit welcher Formulierung er seine Vorverurteilungen der Polizei zurücknimmt.