Mit einer filmreifen Betrugsmasche soll ein Rechtsanwalt für eine Mandantin, die es gar nicht gab, Honorare eingestrichen haben. Ab heute steht der Mann vor dem Landgericht Aachen.
Beim NSU-Prozess ist der 52-Jährige als Opferanwalt aufgetreten. Als Nebenklagevertreter einer Geschädigten des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße im Juni 2004 - nur: die Frau gab es nie. Von heute an steht der Anwalt in Aachen deshalb wegen Betrugs selbst vor Gericht.
Während des NSU-Prozesses soll ein echter, mittlerweile verstorbener Nebenkläger dem Anwalt gefälschte Unterlagen des nicht existenten Opfers gegen eine Provision angeboten haben, sagte ein Gerichtssprecher. Obwohl dem Anwalt klar gewesen sei, dass die Unterlagen wie etwa ein ärztliches Attest gefälscht worden seien, habe er sie beim Oberlandesgericht eingereicht.
Anwalt soll bei NSU-Prozess über 200.000 Euro kassiert haben
Gisela Friedrichsen ist freie Gerichtsreporterin. Über 400 Tage lang hat sie vom NSU-Prozess berichtet. Noch heute erinnert sie sich genau an den Moment, als die Masche des Anwalts im NSU-Prozess aufflog und der Senat ihn von der Verhandlung ausschloss.
Dem Anwalt war es gelungen, fast unsichtbar an einem der größten Prozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte teilzunehmen.
Gerichtsreporterin: Anwalt wollte nicht angesprochen werden
"In meinen Augen ist das schlicht und einfach kriminell. Manchem Anwalt tut die Nähe zu seinen Mandanten anscheinend nicht gut, da färbt vielleicht auch mal was ab", erklärt Friedrichsen.
Obwohl Friedrichsen sich als Gerichtsreporterin mit vielen Anwälten der Nebenklage vor und nach den Sitzungen unterhalten hat - an den 52-Jährigen aus Eschweiler erinnert sie sich kaum.
Gisela Friedrichsen hat jede grausame Facette der NSU-Verbrechen vor Gericht mitangehört, hat die Tragödien der Opferfamilien vor Augen. Dass sich jemand unberechtigt als Opfer-Anwalt ausgab, erschüttert sie: "Ich habe immer gedacht: Ich habe alles erlebt, mich kann vor Gericht nichts mehr erschüttern. Aber da blieb mir die Spucke weg."
Damit habe sie nicht gerechnet, vor allem nicht auf Seiten der Opferanwälte, die ja noch mehr dem Guten verpflichtet seien, so Friedrichsen. "Da denkt man ja, die fühlen sich den Menschen, die so viel mitgemacht haben, besonders verpflichtet. Und das verbietet eigentlich so einen unseriösen und kriminellen Umgang mit den Mandanten."
Der Anwalt schaffte es mit fadenscheinigen Begründungen immer wieder zu erklären, warum er die tatsächliche Existenz seiner Mandantin gerade nicht belegen könne. Gleichwohl, so Friedrichsen, "hat dieser Anwalt als Vertreter dieses Gespenstes gut verdient, sehr gut verdient. Er war einer derjenigen, die sehr fleißig gekommen sind, allerdings hat er nie irgendwelche Aktivitäten entfaltet."
Tageshonorar für NSU-Nebenklageanwälte
356 Euro bekam jeder Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess, allein wenn er an einem Prozesstag als Anwalt anwesend war. Sollte ein Prozesstag länger gehen als bis 15.30 Uhr, gab es nochmal 200 Euro extra.
Gerichtsreporterin Friedrichsen hat beobachtet, dass auch andere Nebenklagevertreter im NSU-Prozess wohl nicht nur das Wohl ihrer Mandanten im Blick hatten. Nach ihrem Eindruck zogen sie das Verfahren für sich gewinnbringend in die Länge.
"Da haben Anwälte um 15.30 Uhr einen Antrag gestellt, sie müssten mit ihrem Mandanten etwas besprechen. Es dauere nicht lang. Bis dann alle wieder im Gerichtssaal waren, war es 15.40 Uhr und die 200 Euro waren sicher."
Fehlende Professionalität bei NSU-Opferanwälten?
Und auf Frage des Senats, was denn nun bei dem Mandantengespräch herausgekommen sei, hieß es dann laut Friedrichsen: " 'Ähh… das hat sich erledigt'. Draußen wurden diese Antragsteller dann von den Anwaltskollegen gefeiert" - auf Kosten der Steuerzahlerinnen. Denn die bezahlten am Ende die Honorare der vielen Nebenklage-Anwälte im NSU-Prozess.
Das Urteil von Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen ist eindeutig: "Der Vorgang mit der nicht vorhandenen Mandantin hat ein trübes Bild auf das ganze Institut Nebenklage geworfen. Das sollte jetzt vom Gesetzgeber mal etwas genauer unter die Lupe genommen werden."
Der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) verübte in Deutschland jahrelang rechtsextremistische Anschläge. Die Aufarbeitung der Anschlagsserie dauerte Jahre.