Gesundheit: Warum Ärzte Obdachlose in Notfällen abweisen
Lücken im Gesundheitssystem:Warum Ärzte Obdachlose in Notfällen abweisen
von Sophie Rebmann und Patrick Wagner
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In Deutschland leben zahlreiche Menschen ohne Krankenversicherung, obwohl diese Pflicht ist. Werden Unversicherte schwer krank, finden sie in Krankenhäusern kaum Hilfe.
Peppi lebt seit 30 Jahren auf der Straße und ist nicht krankenversichert.Dort, wo einmal seine Zehen waren, befinden sich heute Narben. Sie sind geschwollen und entzündet - und das noch Monate nach der Amputation.
Weil er weder Wohnsitz noch Versicherung hat, wurden seine Zehen im Krankenhaus zwar amputiert, doch eine adäquate Nachsorge gibt es für ihn nicht, sagt er:
Peppi bekommt Hilfe vom Gesundheitsmobil Hamburg.
Quelle: ZDF/Pablo Gollmer Hidalgo
Unversichert trotz Krankenversicherungspflicht
Eigentlich dürfte Peppi dieses Problem gar nicht haben. Denn seit 2009 muss jede in Deutschland gemeldete Person krankenversichert sein. Selbst wer keine Arbeit oder Schulden bei der Krankenkasse hat, fliegt nicht aus der Versicherung. Bei Obdachlosen übernimmt das Sozialamt die Kosten. Menschen mit Beitragsschulden haben weiterhin Anspruch auf unaufschiebbare Behandlungen.
Dennoch gibt es in Deutschland rund 61.000 Unversicherte, so die offizielle Zahl des Statistischen Bundesamtes. Doch die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein und bei 500.000 bis eine Million Menschen liegen, vermuten Gesundheitsökonomen.
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Ehrenamtliche Obdachlosenpraxen helfen
Hilfe findet Peppi bei Menschen wie Ronald Kelm. Er leitet das Gesundheitsmobil in Hamburg, eine Praxis für Menschen ohne Versicherung. Dort ist Peppi kein Einzelfall:
Ärzt*innen in Obdachlosenpraxen bestätigen das Problem auf ZDF-Anfrage in ganz Deutschland anonym. Sie berichten, dass unversicherte Patient*innen mit Krebs oder schweren Knochenbrüchen in Krankenhäusern abgewiesen würden - mit zum Teil tödlichen Konsequenzen.
Denn behandeln müssen Krankenhäuser Unversicherte nur dann, wenn es sich um einen Notfall handelt. Rein rechtlich ist das nur dann der Fall, wenn ohne sofortige Behandlung ein schwerer bleibender Schaden entsteht. "Wenn ich eine schwere Erkrankung habe, die schon lange läuft und die verschlimmert sich jetzt, ist das für sich genommen kein Notfall", erklärt Medizinrechtler Jens Prütting von der Bucerius Law School.
Diese Definition lasse viel Interpretationsspielraum, berichtet eine langjährige Mitarbeiterin eines Gesundheitsdienstes, die dort Einblick in die Gesundheitsversorgung unversicherter Patienten hat. Die Insiderin sagt:
Bürokratische Hürden bei Kostenerstattung
Die Krankenhäuser fürchten, auf den Behandlungskosten sitzen zu bleiben. Exklusive Recherchen des ZDF bestätigen das. Deutschlandweite Nachfragen von "Die Spur"-Reporter*innen bei Sozialämtern in großen Städten zeigen folgendes Bild:
Der Großteil aller befragten Sozialämter bewilligt so gut wie keine Krankenhausanträge auf Kostenerstattung. In Berlin waren es etwa 50 von 2.500 Anträgen, in Frankfurt 21 von rund 3.700. München "in aller Regel" keine von 500 gestellten Anträgen, Hamburg 1.249 von circa 4.000 Anträgen, in Rostock keiner von fünf Anträgen. In Stuttgart, Hannover und Bremen wird die Zahl der Anträge nicht einmal statistisch erfasst.
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160 Millionen Euro Schaden bei den Krankenhäusern
Laut Gerald Gaß, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), entstehe so ein Schaden von jährlich mindestens 160 Millionen Euro. Die Dunkelziffer liege wahrscheinlich noch deutlich höher. Und das, obwohl Sozialämter diese Kosten erstatten müssen. So ist es im Sozialgesetzbuch 12 geregelt.
Doch die Anforderungen der Sozialämter sind hoch, bevor sie Behandlungskosten zurückerstatten: Krankenhäuser müssen den Sozialämtern nicht nur die Identität obdachloser Patienten nachweisen, sondern auch ihre Bedürftigkeit. Das sei häufig zu kompliziert und aufwändig für das ohnehin überlastete Krankenhauspersonal, erklärt Gerald Gaß.
Lösung in Thüringen: Anonymer Krankenschein
Das Sozialministerium in Thüringen beweist, dass es auch andere Lösungen gibt. Dort bekommen Betroffene einen anonymen Behandlungsschein, mit dem sie zu einem Arzt oder einem Krankenhaus gehen können. Der Schein erleichtert auch die Abrechnung.
In anderen Bundesländern gibt es Überlegungen, dem Modell zu folgen. Doch noch gibt es keine einheitliche Lösung. In einem der reichsten Länder der Welt hat das für die Schwächsten unserer Gesellschaft dramatische Folgen. Medizinrechtler Prütting meint dazu: