1975 trat Olaf Scholz in die Hamburger SPD ein. Und lernte schon bei den Jusos, dass politische Ideale schnell auf harte Realität stoßen. Ein Besuch bei alten Weggefährten.
Hamburg-Rahlstedt gehört nicht zu den Schokoladenseiten von Hamburg. Schon gar nicht in dieser eher tristen Jahreszeit. Die Elbe, die Alster, das Vorzeige-Hamburg, alles ziemlich weit weg. Doch genau hier hat Deutschlands künftiger Kanzler seine Kindheit und Jugend verbracht. Dass er nicht in Hamburg sondern in Osnabrück geboren wurde, gilt heute als lässliches Detail in seiner Vita.
Streng genommen ist Olaf Scholz ein Quiddje, ein Zugezogener eben. Dennoch: Hier in Rahlstedt ging er auf die Grundschule Großlohering, war der Einzige in seiner Klasse, der eine Gymnasialempfehlung bekam. Und genau hier trat er auch den Jusos und damit der SPD bei. Das war 1975.
Rahlstedter SPD war sehr links
Günter Frank (75) war damals Vorsitzender des Distrikts Rahlstedt, die in Hamburg geläufige etwas vornehmere Bezeichnung für die SPD-Ortsvereine. Zum Stamokap-Flügel zählte sich der damals 17-jährige Olaf aus bürgerlichem Milieu inmitten eines Arbeiterviertels. An diese Idee des staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) möchte der künftige Kanzler wohl heute nicht mehr so gerne erinnert werden, höchstens mit einem milden Lächeln über längst vergangene Zeiten.
Hamburg-Rahlstedt: Zwei Weggefährten von Olaf Scholz erinnern sich - wie der künftige Kanzler bei der SPD anfing und welche Themen ihm besonders wichtig waren.
"Wir waren damals in Rahlstedt alle ziemlich links", erinnert sich Günter Frank, "im eigentlich eher konservativen SPD-Bezirk Hamburg-Wandsbek. Da fiel Scholz als Mitglied in der sehr links orientierten Gruppe nicht weiter auf." Eher schon durch seine inhaltlichen Beiträge, klugen Bemerkungen und echtes politisches Engagement.
Und noch einer erinnert sich an jene Zeiten, sogar sehr gut. Denn Axel Sellmer (69) war es, der Olaf persönlich sein SPD-Parteibuch nach Hause brachte. Und von den Scholzens erstmal auf eine Tasse Kaffee hereingebeten wurde:
Für ein Jugendzentrum kämpften die Rahlstedter Jusos damals beispielsweise. Das steht immer noch und soll sogar bald saniert werden.
Hamburgisch stolz auf Scholz
Hier in Rahlstedt also kam für Olaf Scholz politische Ideengeschichte mit Hamburger Realität zusammen und daraus hat er für seine politische Laufbahn gelernt. Das besondere an ihm, sagt Günter Frank war, dass er immer die Realität gesehen und in Rahlstedt die unterschiedlichsten Milieus kennengelernt hat und daraus letztlich eine pragmatische Politik entwickelte.
Er war sehr intelligent, belesen, ein Intellektueller, der im besten Sinne ehrgeizig gewesen sei. Und bescheiden räumen die beiden Weggefährten ein, sie seien stolz darauf, dass der künftige Kanzler hier politisch mit ihnen angefangen hat.
Ja, sie seien schon ein bisschen stolz, in gewisser Weise "hamburgisch stolz auf Scholz".
Man habe ihm schon sehr bald angemerkt, ergänzt Axel Sellmer, dass es ihm vor allem um das Thema soziale Gerechtigkeit ging und er mehr wollte, als nur Ortspolitik in Rahlstedt zu machen.
Die wesentliche Hürde für die Bildung der ersten bundesweiten Ampel-Koalition ist genommen - der Koalitionsvertrag. Nun muss er allerdings noch von den Parteien abgesegnet werden.
Genossen zweiter Klasse nicht akzeptabel
Eines haben die Rahlstedter Jusos mit Olaf Scholz in ihren Reihen damals übrigens auch geändert. Die SPD-Senatoren (nur Männer damals in den Hamburger Ministerämtern) des SPD/FDP-Senats, die zum Entsetzen der Linken in Rahlstedt gesiezt wurden von den einfachen Genossen, sprachen sie fortan demonstrativ mit "Du" an.
"Genossen erster und zweiter Klasse waren für uns nicht akzeptabel", sagt Günter Frank etwas schelmisch zum Schluss unserer Begegnung. Und ja: Er ist sparsam mit Emotionen, ein wenig vielleicht die Gefahr, dass ihm das negativ angekreidet werde. Aber letztlich sei er damit sehr gut gefahren. Dieser künftige Kanzler Olaf Scholz, mit seiner politischen Heimat im SPD-Distrikt Hamburg-Rahlstedt.
Ralf Zimmermann von Siefart ist Leiter des ZDF-Studios Hamburg.