Es ist ein einmaliger Vorgang. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas relativiert bei seinem Besuch den Holocaust. Gastgeber Olaf Scholz steht daneben und schweigt. Was war da los?
Es ist eine bizarre Szene gestern am Abend im Kanzleramt. Es ist die letzte Frage auf der Pressekonferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Abbas wird gefragt, ob er sich anlässlich des 50. Jahrestag des Olympia-Attentates entschuldigen wolle.
1972 waren israelische Sportler im München mitten im olympischen Dorf von einem palästinensischen Terrorkommando überfallen worden. Im Laufe der Geiselnahme waren alle elf Geiseln getötet worden.
Die Spiele von 1972 in München - hier in einer Sportstudio-Reportage:
Abbas antwortet:
Auf die Frage nach dem Olympia-Attentat geht der Chef der Palästinensischen Autonomie-Behörde erst gar nicht ein.
Relativierung des Holocaust in der Herzkammer der Regierung
Eine Relativierung des Holocaust, eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, in der Herzkammer der deutschen Regierung. Und eine Frontalattacke auf die deutsche Staatsräson gegenüber Israel.
Bei einer Pressekonferenz mit Olaf Scholz wirft Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Israel vielfachen "Holocaust" vor. Der Kanzler reagiert empört, widerspricht seinem Gast bei dem gemeinsamen Auftritt aber nicht unmittelbar.
Minutenlang redet Abbas - und der Bundeskanzler schaut entsetzt zu. Mehr aber auch nicht. Wer eine direkte Reaktion von Olaf Scholz erwartet hatte, wird enttäuscht.
Harte Kritik von verschiedenen Seiten
Noch am Abend wird Scholz von verschiedenen Seiten hart kritisiert. Erst gegenüber der Bild-Zeitung und später auf Twitter versucht Scholz seinen schweren Patzer einzufangen:
"Ich bin zutiefst empört über die unsäglichen Aussagen des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas", schreibt er auf Twitter. Gerade für die Deutschen sei jegliche Relativierung des Holocaust "unerträglich und inakzeptabel."
Hebestreit: "Es war mein Fehler"
Am Tag danach beginnt die Aufarbeitung. Regierungssprecher Steffen Hebestreit nimmt die Schuld auf sich, was das Ende der Pressekonferenz und die Nicht-Reaktion des Kanzlers angeht. "Es war mein Fehler", sagt Hebestreit mehrfach in der Regierungspressekonferenz und versucht zu erklären, warum er die Pressekonferenz so schnell beendet habe und der Kanzler deshalb keine Chance auf eine sofortige Reaktion hatte.
"Ich hatte in dem Moment keinen Blickkontakt zum Bundeskanzler", so der Regierungssprecher. Eine Erklärung, die nicht ganz überzeugt.
Zwischen dem Satz, der den Holocaust relativiert, und dem Ende der Erklärung Abbas' liegen genau eine Minute und zehn Sekunden. Eine Minute und zehn Sekunden, in denen entweder dem Regierungssprecher oder dem Regierungschef die Ungeheuerlichkeit der Aussage des Palästinenserpräsidenten hätte auffallen können. Und in denen man hätte reagieren können.
Zentralratspräsident Schuster: "Skandalös"
Auch am Tag danach reißt die Kritik an Scholz nicht ab. Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, nennt die fehlende direkte Reaktion von Scholz "skandalös", und die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, spricht von einer "Beleidigung der Opfer des Holocaust". Auch die Vorgängerin von Scholz, Angela Merkel, verurteilt den Vorgang "auf das Schärfste". Solche Versuche der Relativierung "werde Deutschland niemals dulden", so Merkel.
Der Handschlag, den Scholz nach der Pressekonferenz und dem Eklat mit Abbas tauschte, schockiert Zentralratspräsident Schuster.
Regierungssprecher Hebestreit hatte versucht, den Handschlag als Ausdruck der Missbilligung und Verurteilung der zuvor gefallenen Worte zu deuten: "Viel grimmiger als bei diesem Handschlag ist der Bundeskanzler gar nicht in der Lage zu gucken."
Der Holocaust-Vergleich von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat für große Empörung gesorgt. "Der Fall bringt die Regierung in Bedrägnis", so ZDF-Korrespondentin Andrea Maurer.
Mützenich: Kritik sind "dumme und parteipolitische Spielchen"
Aus der Koalition gab es aber auch Unterstützung für Scholz. FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff schrieb auf Twitter, dass "die Empörung klar sichtbar" war. Ein Tweet, der auch von FDP-Chef Christian Lindner weiter verbreitet wurde.
Und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf Abbas den "Missbrauch der politischen Bühne in Berlin" vor. Kritik am Kanzler seien "dumme und parteipolitische Spielchen."
Obwohl Präsident Abbas heute versuchte, seinen Aussagen einen anderen Klang zu verleihen, indem er erklärte, dass "den Holocaust und seine Einzigartigkeit nicht relativieren wolle", scheint das Tischtuch zwischen der Bundesregierung und der Palästinensischen Autonomie-Behörde zunächst zerschnitten. Das politische und das persönliche Verhältnis sei durch diesen Eklat "überschattet", sagte Steffen Hebestreit.
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Mathis Feldhoff ist Korrespondent im Hauptstadtstudio des ZDF in Berlin.