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Interview

50 Jahre Ostverträge : Was von Willy Brandts Ostpolitik bleibt

Datum:

Die Ostverträge sorgten 1972 für eine Zeitenwende. Historiker Jan Claas Behrends über die Lehren aus der Neuen Ostpolitik für den Russland-Kurs heute.

Archiv: Willy Brandt am 07.12.1970 in Warschau
Kniefall in Warschau 1970. Bundeskanzler Willy Brandt besuchte Polen, um den Vertrag von Warschau zu unterschreiben.
Quelle: AP

ZDFheute: Die Ostverträge markierten 1972 eine neue Ostpolitik in der Bundesrepublik. Was war bisher der Status quo gewesen?

Jan Claas Behrends: Schon der Begriff "Neue Ostpolitik" impliziert, dass die Bundesrepublik ihre Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten verändern wollte. Bonn hatte ja nach der Adenauer-Reise von 1955 nur diplomatische Beziehungen mit Moskau und keine mit den anderen Staaten in Ostmitteleuropa. Es herrschte Kalter Krieg, die Feindbilder des Weltkrieges waren noch präsent.

ZDFheute: Was stand in den Verträgen?

Behrends: Der Preis, den die deutsche Seite zahlte, war die Anerkennung der Grenzen von 1945 und damit der Verlust der deutschen Ostgebiete. Außerdem verpflichtete sich Bonn, die Nachkriegsgrenzen nicht gewaltsam zu verändern.

ZDFheute: Das gefiel in der Bundesrepublik nicht allen. Warum?

Behrends: In der Opposition wurde die neue Ostpolitik abgelehnt, besonders durch die CDU/CSU. Denn viele aus dem Osten Vertriebene waren nicht dazu bereit, ihr Anrecht auf Heimat preiszugeben. Die Vertriebenenverbände hielten die Anerkennung der Grenzen von 1945 für falsch.

ZDFheute: Die Verträge regelten auch das Verhältnis zur DDR. Was hat sich dadurch geändert?

Behrends: Die Bundesrepublik hatte die Doktrin, dass man die DDR nicht als gleichberechtigten deutschen Staat anerkennen wollte. Das hat man in den Ostverträgen auch diplomatisch nicht getan. Es gab dann einen Kompromiss: Man hat keine Botschaften eröffnet, sondern "Ständige Vertretungen".

Entscheidend war, dass es nun einen regen diplomatischen Verkehr zwischen Ost-Berlin und Bonn gab.
Jan Claas Behrends, Historiker

ZDFheute: Wie wirkte sich diese "De-Facto-Anerkennung" dann auf das Leben in Deutschland aus?

Behrends: Das Ziel der Regierung Willy Brandts war, die Teilung für die deutschen Bürgerinnen und Bürger ein Stück weit zu erleichtern, beispielsweise beim Reisen und beim Handel. Auf der politischen Ebene wollte man für Entspannung und für mehr Kontakte zwischen Bonn und Ost-Berlin sorgen. Das ist dann auch durchaus gelungen.

ZDFheute: Wie sah man die neue Ostpolitik im osteuropäischen Ausland?

Behrends: Es gab in Osteuropa ein Interesse an Handel mit der Bundesrepublik, die zu diesem Zeitpunkt schon wieder eine Wirtschaftsmacht war. Die Versorgung Westdeutschlands mit Gas war und ist bis heute eine wichtige Einnahmequelle für Russland. Für die Polen und Tschechoslowaken war natürlich am wichtigsten, dass sie zum ersten Mal seit 1945 das Gefühl hatten, sicher in ihren Grenzen leben zu können. Denn diese wurden nicht mehr offensiv durch Deutschland in Frage gestellt.

ZDFheute: Nun stehen wir heute vor der Situation, dass Russland ein Nachbarland angreift, wir haben wieder einen Krieg auf europäischem Boden. Ist das Konzept "Wandel durch Annäherung" gescheitert?

Behrends: Annäherung und Entspannung hat es nach den Ostverträgen gegeben. Die Losung "Wandel durch Annäherung" kam aber erst etwas später. Ihre Verfechter glaubten, dass die kommunistischen Regime in Osteuropa sich durch die Annäherung an den Westen liberalisieren würden. Doch das ist in den 1970er Jahren nicht eingetreten, eher das Gegenteil, wenn man sich die Sowjetunion oder die DDR anschaut. Insofern hat sich dieser Ansatz schon in den 70er und 80er Jahren nicht bewahrheitet.

ZDFheute: Die Entfremdung von Russland ist heute nicht mehr zu übersehen.

Behrends: Und die hat es so seit den Ostverträgen gegenüber der Sowjetunion und Russland nicht gegeben. Unterschiedliche deutsche Regierungen haben seit den 70er Jahren enge Beziehungen zu Moskau gepflegt. Auch die konservativen Regierungen Helmut Kohls bilden da keine Ausnahme und es war insbesondere Angela Merkel, die Putins Russland immer sehr weit entgegengekommen ist. Doch die Sonderbeziehung zu Russland ist nun an ein Ende gekommen.

ZDFheute: Wir sehen nun also die Konsequenzen einer falschen Ostpolitik?

Behrends: Ich würde schon sagen, dass das ein Scheitern der deutschen Russlandpolitik nach der Einheit ist. Mehrere Berliner Regierungen haben sich vorgestellt, dass es in Moskau einen Dialogpartner gibt, jemand mit dem man diese Energie- und Modernisierungspartnerschaft vorantreiben kann.

Dabei hat man übersehen, dass Russland tatsächlich eine revisionistische Macht ist, die versucht, die europäische Friedensordnung zu untergraben.
Jan Claas Behrends, Historiker

Und auch bereit ist, das mit dem Mittel des Angriffskrieges zu tun. Das hat  man in Berlin nicht wahrhaben wollen.

ZDFheute: Wo war Ihrer Meinung nach der Punkt, an dem man die deutschen Beziehungen zu Russland hätte überdenken müssen?

Behrends: Die Bundesregierung hätte spätestens 2014 nach Putins erstem Angriff auf die Ukraine Konsequenzen ziehen müssen, eigentlich aber bereits 2008 mit dem Georgien-Krieg. Aber man hat auf das Prinzip Hoffnung gesetzt und die Realitäten weitgehend ausgeblendet.

Das Interview führte Anna Grösch.

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