Aktivist: "Leben unter der Hamas war ein Alptraum"

    Interview

    Widerstand im Gazastreifen:Aktivist: "Leben unter Hamas war ein Alptraum"

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    Hamza H. hat in Gaza gegen die Hamas protestiert - und sei deshalb Folter ausgesetzt gewesen, bis er die Flucht ergriff. Auch im Exil werde er bedroht, erzählt der Aktivist.

    Palästinensische Gebiete, Deir al-Balah: Kämpfer der Al-Kassam-Brigaden, des militärischen Flügels der islamistischen Terrororganisation Hamas
    Der palästinensische Aktivist Hamza H. will zeigen, dass längst nicht alle Palästinenser hinter der Terrororganisation Hamas stehen. Dafür floh er aus seiner Heimat.
    Quelle: dpa

    Im Gazastreifen ist Hamza H. eine prominente Stimme gegen die radikal-islamistische Hamas. 2023 floh der Aktivist nach Deutschland, wo er in einem Flüchtlingsheim lebt.
    Den genauen Ort will er aus Sicherheitsgründen nicht preisgeben, seinen kompletten Namen nennt ZDFheute nicht. Auch das Interview wurde immer wieder unterbrochen, weil die anderen Bewohner der Unterkunft den Inhalt des Gesprächs nicht mitbekommen sollten.
    ZDFheute: Sie haben bis zum August 2023 in Gaza gelebt. Wie sah das Leben unter der Herrschaft der Hamas aus?
    Hamza H.: Das Leben unter der Hamas war ein permanenter Alptraum. Seit ihrer Machtübernahme 2007 hat sich die Situation im Gazastreifen dramatisch verändert. In den ersten Jahren erlebten wir die radikalste Version der Hamas. Es gab strenge Restriktionen - selbst Männer konnten nicht einfach Shorts tragen, ohne Probleme zu bekommen.

    Das Leben wurde von einem System der Angst und Kontrolle bestimmt.

    Hamza H.

    Die Hamas schuf zwei Gesellschaftsschichten: eine wohlhabende Elite, die zur Bewegung gehörte, und den Rest der Bevölkerung, die täglich ums Überleben kämpfte. Wer nicht in die Strukturen der Hamas eingebunden war, hatte es schwer, eine Arbeit zu finden oder Bildungschancen zu erhalten.
    Manche Menschen schlossen sich der Hamas nicht aus ideologischer Überzeugung an, sondern weil sie sich wirtschaftliche Vorteile erhofften.

    Hamza Abu Howidy
    Quelle: privat

    ... ist ein palästinensischer Friedensaktivist, der in Gaza-Stadt aufgewachsen ist. Er lebte im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen, bis er im August 2023 nach Deutschland flüchtete. Heute setzt er sich weiterhin für Frieden und Menschenrechte in Nahost ein.

    In seinen öffentlichen Äußerungen kritisiert er sowohl die Hamas als auch die in Teilen rechtsextreme israelische Regierung.

    Quelle: ZDF

    ZDFheute: Sie waren 2019 und 2023 aktiv an Protestbewegungen gegen die Hamas beteiligt. Was waren Ihre Forderungen?
    Hamza H.: Ich wurde mehrfach verhaftet und gefoltert, denn Kritik an der Hamas ist de facto verboten. Um innerhalb weniger Stunden abgeholt zu werden, reicht es, dass man die Hamas in sozialen Medien kritisiert.

    Dann landet man in den sogenannten "Polizeistationen", die in Wirklichkeit Folterzentren sind. Dort wird man so lange misshandelt, bis man verspricht, ihnen nie mehr zu widersprechen.

    Hamza H.

    Ich hatte Glück, dass meine Familie ein Bestechungsgeld zahlen konnte und ich nach ein paar Wochen freikam.
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    2019 starteten wir die "Wir wollen leben"-Bewegung. Unsere Forderungen waren klar: bessere wirtschaftliche Bedingungen und demokratische Wahlen.

    Offiziell sprachen wir nicht offen von einem Sturz der Hamas, weil das zu gefährlich gewesen wäre. Doch im Kern war es das, was wir wollten.

    Hamza H.

    Die Hamas reagierte brutal auf die Proteste. Allein an einem Tag wurden bis zu 3.000 Menschen festgenommen. Ich wurde erneut inhaftiert und gefoltert.
    Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ein Beispiel: Eine wichtige Stimme dieser Bewegung forderte die Hamas auf, den Krieg zu beenden und die israelischen Geiseln freizulassen. Am Ende wurde er selbst gefoltert und landete auf der Intensivstation eines Hamas-Krankenhauses. Mittlerweile lebt er in den Emiraten.
    ZDFheute: Sie selbst haben sich sowohl gegen die Hamas als auch gegen die israelische Militärstrategie ausgesprochen. Was ist Ihre Position?
    Hamza H.: Ich sehe es als meine moralische Verpflichtung, die andere Stimme aus Gaza zu vertreten. Viele Menschen denken, die gesamte Bevölkerung von Gaza stehe hinter der Hamas und feiere die Gräueltaten an den Israelis am 7. Oktober - das stimmt jedoch nicht.
    Dennoch kritisiere ich auch Israels Vorgehen, denn die Bombardierungen haben Tausende unschuldige Menschen getötet. Auch ich habe viele Freunde in diesem Krieg verloren - Menschen, die nichts mit der Hamas zutun hatten.

    Es braucht eine Balance: Die Hamas ist ein Terrorregime, aber das bedeutet nicht, dass Israel tun kann, was es will.

    Hamza H.

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    ZDFheute: Wie stehen die Menschen in Gaza aktuell zur Hamas?
    Hamza H.: Vor dem 7. Oktober hatte die Hamas eine breite Unterstützung in der Bevölkerung. Heute können wir verschiedenen Umfragen entnehmen, dass diese Unterstützung massiv gesunken ist.
    Denn die Menschen haben in den letzten 15 Monaten eine beispiellose Zerstörung erlebt - weit schlimmer als frühere militärische Auseinandersetzungen.

    Die Bevölkerung ist traumatisiert, fast jede Familie hat Angehörige verloren. Die Menschen sind müde von Krieg und Zerstörung.

    Hamza H.

    Sie wollen eine Alternative - nicht durch ausländische Einmischung, sondern durch eine palästinensische Lösung. Gleichzeitig wollen sie nicht länger von der Hamas regiert werden, da diese weiterhin auf bewaffnete Konflikte setzt.
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    ZDFheute: Haben Sie aufgrund Ihrer Arbeit Drohungen erhalten?
    Hamza H.: Ja, leider ist das mein Alltag. Jedes Mal, wenn ich meinen Instagram- oder X-Account öffne, finde ich unzählige Drohnachrichten. Auch meine Einrichtung, in der ich lebe, ist nicht sicher. Ich wurde schon von anderen Flüchtlingen konfrontiert, die Hamas-Anhänger sind.
    Als ich einmal etwas über die Ermordung von Ex-Hamas-Chef Yahya Sinwar schrieb, kam einer der anderen Bewohner zu mir und sagte: "Wie kannst du so etwas über Sinwar sagen?" In dem Moment wusste ich, dass es keine einfache Diskussion wäre, also habe ich mich gar nicht darauf eingelassen. Man muss in solchen Umfeldern sehr vorsichtig sein, was man sagt und mit wem man spricht.
    Ich war auch schockiert, als ich sah, dass viele Demonstranten in Europa und in den USA die Hamas offen unterstützen. Ich hatte erwartet, dass der Westen gegen diese Ideologie steht. Ich dachte, dass wir hier Unterstützung finden würden, um uns der Hamas entgegenzustellen.
    ZDFheute: Wie sieht Ihr Wunsch für die Zukunft aus?
    Hamza H.: Es gibt keine einfache Lösung, aber eines ist klar: Gewalt bringt uns nicht weiter. Der bewaffnete Widerstand hat uns nur Zerstörung gebracht. Gleichzeitig fehlt in beiden Gesellschaften das Vertrauen, dass ein friedliches Zusammenleben möglich ist.

    Wir müssen Wege finden, miteinander zu sprechen, ohne Hass und Gewalt. Nur so kann es eine Zukunft für Palästina und Israel geben.

    Hamza H.

    Das Interview führte ZDFheute-Redakteurin Ninve Ermagan.
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