Die Debatte geht seit Monaten: Warum schickt Deutschland keine Kampfpanzer an die Ukraine? Sind die aktuellen Argumente der Bundesregierung stichhaltig? Fünf Gründe im Überblick.
Während Deutschland weiterhin keine Kampf- oder Schützenpanzer westlicher Bauart an die Ukraine liefert, gibt es beim Alternativmodell Ringtausch Fortschritte: Am Dienstag erhielt Griechenland 40 Marder-Schützenpanzer, im Gegenzug gibt Athen alte sowjetische BMP-Schützenpanzer an die Ukraine weiter.
Doch warum setzt die Bundesregierung weiterhin bei bestimmten Waffen auf umständliche Ringtausch-Lösungen anstatt Panzer direkt der Ukraine zu überlassen? Bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin vergangene Woche nannte Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) mehrere Argumente. Wie stichhaltig sind sie?
Argument 1: Logistik, Wartung und Ersatzteile
Hier spricht der Scholz-Vertraute ein reales, aber potenziell lösbares Problem an. Die Wartung der von Deutschland gelieferten Panzerhaubitze 2000 etwa findet derzeit in Werkstätten des Herstellers KMW in Litauen statt - ein erheblicher logistischer Aufwand. In dieses Zeit fallen sie in der Ukraine aus.
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Monatelang hatte KMW am Aufbau eines Wartungszentrums an der polnischen Grenze gearbeitet, doch das Vorhaben scheiterte an polnischen Auflagen. Nach "Spiegel"-Informationen soll nun ein Standort in der Slowakei im Gespräch sein. Die USA hingegen können an die Ukraine gelieferte M777-Haubitzen in Polen warten.
Argument 2: Integration in die Streitkräfte
Falsch eingesetzt, können selbst Kampfpanzer sehr verwundbar sein. Das konnte man vielfach in der Ukraine beobachten. Inzwischen haben viele ukrainische Panzerbesatzungen aber deutlich mehr Kampferfahrung als manche Bundeswehrsoldaten.
Nicht bei den Panzertruppen, aber bei anderen Waffengattungen gleichen die ukrainischen Streitkräfte einer bunt zusammengewürfelten Mischung westlicher und sowjetischer Systeme. Dort hat der Wissenstransfer funktioniert. Zudem könnte man argumentieren, dass eine Panzerhaubitze 2000 oder ein Iris-T SLM nochmal komplexere Gerätschaften mit höherem Integrationsaufwand sind als ein Leopard 2. Auch hier gilt: reales Problem, aber womöglich machbar.
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Argument 3: Andere Staaten liefern auch nicht
Wie Schmidt korrekt sagt, liefert bislang "niemand seine modernen westlichen Kampfpanzer". Jedoch betonte er in der gleichen Diskussionsveranstaltung, dass Deutschland sicherheitspolitisch gerade erwachsen werde. Darunter könnte die Bundesregierung auch verstehen, in dieser Frage vornewegzugehen und weitere Partner hinter sich zu versammeln.
Umgekehrt ist es nämlich so, dass andere Staaten, die Leopard 2 weitergeben wollen, dafür eine Genehmigung Deutschlands benötigen. Spanien etwa hatte die Weitergabe ausgemusterter Leopard 2 vorbereitet, Berlin unterstützte das Vorhaben nicht. Weil die Panzer schließlich doch in zu schlechtem Zustand gewesen seien, verfolgte das spanische Verteidigungsministerium das Projekt nicht weiter.
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Argument 4: Erbeutete westliche Technologie
Moderne westliche Kampfpanzer, darunter Leopard 2 und M1 Abrams, der die gleiche Kanone wie der Leopard 2 nutzt, wurden bereits erbeutet. In Nordsyrien gelangte Isis an mehrere türkische Leopard 2, dazu im Nachbarland eine unbekannte Zahl irakischer M1 Abrams. Potenziell könnten sie also auch in die Hände der syrischen Regierung und damit Moskaus gefallen sein. Im Jemen verlor Saudi-Arabien M1 Abrams im Kampf gegen von Iran unterstützte Huthi-Milizen.
Monatelang wurde ergebnislos über die Weitergabe von Marder und Leopard 1 diskutiert. Beides sind alte, weitgehend überholte Systeme. Auch nicht modernisierte Leopard 2 A4 sind in vielen Punkten Technologie der 1980er Jahre.
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Tatsächlich verfügt Moskau mit T-14 Armata-Kampfpanzern oder Su-57-Kampfjets theoretisch über Ausrüstung der neusten Generation. Praktisch bekommt die russische Industrie aber kaum Exemplare produziert – wegen Sanktionen, Qualitätsproblemen und hohen Kosten. Ob deutsche Panzertechnologie der 1980er Jahre daran etwas ändern würde, sollte ein auch für die Koordination der Geheimdienste zuständiger Minister Schmidt im besten Fall einschätzen können.
Argument 5: Russische Propaganda
Seit Monaten ist eine vermeintliche direkte Kriegsbeteiligung der Nato etwa über internationale Freiwillige in den ukrainischen Streitkräften ein zentrales Thema der russischen Propaganda. Wie und ob die russische Führung auf den Einsatz westlicher Kampfpanzer reagieren würde, ist nicht klar.
Dass hingegen das Eiserne Kreuz auf den übergebenen Panzern zu sehen sein würde, wie von Schmidt behauptet, wäre unwahrscheinlich und eine vermeidbare Nachlässigkeit. Bei den Panzerhaubitzen 2000 etwa wurden die Stellen am Turm, an der die Bundeswehr-Zeichen zuvor zu sehen waren, selbstverständlich übermalt.
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