Die Ukraine-Diplomatie von Papst Franziskus hat bislang wenig Eindruck hinterlassen. Die Kritik an ihm wächst, denn Franziskus sendet widersprüchliche Signale aus.
Seine Aufrufe zu einer Waffenruhe am orthodoxen Osterfest verhallten ohne Resonanz. Sein geplantes Treffen mit dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche wurde abgeblasen. Sein Vorschlag, Moskau zu besuchen? Njet.
Es ist unübersehbar: Das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche scheint unfähig zu sein, aus seiner moralischen Autorität, sanften Macht oder direkten Verbindung zu Moskau Kapital zu schlagen, um ein Ende des Blutvergießens oder zumindest eine Waffenruhe zu erreichen.
Franziskus' Weigerung Putin anzuprangern
Stattdessen hat sich Papst Franziskus in der ungewöhnlichen Position wiedergefunden, seine Weigerung erklären zu müssen, Russland oder Präsident Wladimir Putin namentlich anzuprangern. Und er war gezwungen, seine "sehr guten" Beziehungen zum Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, dem Patriarchen Kirill, zu verteidigen, der den Krieg in der Ukraine aus spirituellen Gründen gerechtfertigt hatte.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
Diese Liste von diplomatischen Sackgassen ist aber wenig überraschend vor dem Hintergrund der ungewöhnlichen Art von Diplomatie, die der Vatikan betreibt. Der Papst versucht, geopolitische Realitäten und spirituelle Prioritäten unter einen Hut zu bringen, auch wenn sie kollidieren.
Beziehungen zu russisch-orthodoxer Kirche im Vordergrund
Im Fall der Ukraine hat Franziskus sich einerseits bemüht, ein Pastor für seine Schar der Gläubigen in der Ukraine zu sein, hat unermüdlich zum Frieden aufgerufen und Kardinäle mit humanitärer Hilfe entsandt.
Aber zugleich hat der Papst das längerfristige Ziel im Auge behalten, die Beziehungen zur russisch-orthodoxen Kirche zu reparieren, die sich mit dem Rest der Orthodoxie vor fast 1.000 Jahren von Rom getrennt hat.
Parallelen zu Papst Pius XII. und dem Holocaust?
Manche Kritiker fühlen sich durch die andauernden Kontakte in Richtung Kreml trotz der Russland angelasteten Gräueltaten in der Ukraine an Papst Pius XII. erinnert. Jüdische Gruppen lasten Pius an, den Holocaust nicht genügend angeprangert zu haben. Der Vatikan beharrt darauf, dass Pius' stille Diplomatie Leben gerettet habe.
"Franziskus tut, was er kann, mit den richtigen Prioritäten, um den Krieg zu stoppen, das Leiden der Menschen zu beenden", sagt Anne Leahy, die von 2008 bis 2012 Kanadas Vatikan-Botschafterin und in den späten 1990er Jahren Vertreterin ihres Landes in Moskau war. Aber:
Leahy gibt zu bedenken, dass es für einen Papst höchste Priorität haben müsse, gemäß dem Evangelium die Christen zu vereinen. Daher müssten die Beziehungen zu den Orthodoxen auch im Vordergrund stehen.
Widersprüche in der päpstlichen Ukraine-Diplomatie
Manchmal erscheinen Franziskus' Worte und Gesten widersprüchlich. An einem Tag hat er eine Videokonferenz mit Kirill - samt dem Zitat, dass beide Seiten die Hoffnung auf einen "gerechten Frieden" geäußert hätten. Drei Wochen danach küsst er eine ramponierte ukrainische Flagge, die ihm aus Butscha überbracht worden ist, wo russische Soldaten Zivilisten praktisch exekutiert haben.
Im Gespräch mit der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" schlug Franziskus mit Blick auf Kirill und das Videogespräch dagegen kritischere Töne an. "Ich hörte zu und sagte ihm: "Ich verstehe das alles nicht. Bruder, wir sind keine Staatskleriker. Wir können nicht die Sprache der Politik sprechen, aber die von Jesus. (...) Deswegen müssen wir Wege zum Frieden finden und das Schießen muss aufhören."
Kritik an Franziskus schon bei russischer Annexion der Krim
Man könne durchaus über die Entscheidung von Franziskus diskutieren, die "klassische vatikanische Diplomatie" fortzusetzen, den Dialog mit dem Feind aufrechtzuerhalten, meint der Geistliche Stefano Caprio, Professor für Kirchengeschichte am Pontifical Oriental Institute in Rom.
Caprio fügt hinzu: "Aber da wir nicht von einem Glaubensstreit sprechen, kann man Meinungen haben, die von denen des Papstes abweichen."
In mancher Weise erinnert Franziskus' Rolle an den Seitenlinien des Ukraine-Konflikts an seine Haltung, als Russland 2014 die ukrainische Halbinsel Krim annektierte. Damals erschien der Heilige Stuhl zumindest nach außen hin neutral, trotz Aufrufen von Angehörigen der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, die eine Minderheit in dem mehrheitlich orthodoxen Land darstellt, Moskau scharf zu verurteilen.
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Ziel des Vatikan: Russisch-ukrainische Versöhnung
2022 erzürnte Franziskus sie erneut - mit dem Vorschlag, dass eine ukrainische und eine russische Frau beim vatikanischen Karfreitagskreuzweg im Kolosseum gemeinsam das Kreuz tragen. Die Geste sollte die Möglichkeit einer künftigen russisch-ukrainischen Versöhnung zu unterstreichen.
Aber der ukrainische Botschafter lehnte das ab, und auch das Oberhaupt der ukrainischen griechisch-orthodoxen Gläubigen, Erzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, kritisierte, der Vorschlag ziehe nicht in Betracht, dass Russland die Ukraine überfallen habe.
Am Ende schloss der Vatikan einen Kompromiss. Die Frauen trugen das Kreuz, aber anstatt laut eine Meditation mit einem Aufruf zur Versöhnung vorzulesen, standen sie in stillem Gebet beieinander - der Ex-Botschafterin Leah zufolge ein klassisches Beispiel für die päpstliche Diplomatie.
- Franziskus zwischen den Fronten
Der Papst verurteilt den Krieg in der Ukraine scharf, vermeidet aber, Russland und Präsident Putin als Urheber zu benennen. Damit stößt er auf Unverständnis.