Pödelwitz bei Leipzig sollte der Braunkohle weichen. Dieses Schicksal ist abgewendet. Nun will das Dorf Modellprojekt für den Strukturwandel werden. Noch gibt es aber hohe Hürden.
-
"Wir haben hier viele Jahre einen Kampf David gegen Goliath geführt", sagt der Bauer Jens Hausner aus Pödelwitz. Er sitzt in seiner Küche, einen Moment lauscht er dem prasselnden Holzfeuer im Ofen, dann schärft sich sein Blick erneut: "Der Kampf geht weiter!"
Plötzlich kein Abrissprojekt mehr
Für den kleinen, kräftigen Mann und seine Mitstreiter war es in der Vergangenheit ein Kampf um den Erhalt des 700 Jahre alten Bauerndorfs, den Erhalt von fruchtbarem Boden, den Erhalt von Streuobstwiesen, Gärten und alten Gehöften. All das sollte 2028 für Kohleabbau und Energiegewinnung weichen.
Bis auf einige Hundert Meter ist der Tagebau "Vereinigtes Schleenhain" schon an das Dorf herangerückt. Das Bergbauunternehmen Mibrag hat 85 Prozent der Grundstücke im Dorf erworben, die Menschen dafür materiell entschädigt.
Dann fiel vor einem Jahr der Entschluss: Pödelwitz darf bleiben!
Der Traum vom Vorbild-Öko-Dorf
Hausner, die anderen verbliebenen Dorfbewohner und eine Reihe von jungen Menschen von außerhalb wollen mehr: Sie träumen von einem "Modelldorf der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit", wie es der Verein "Pödelwitz hat Zukunft" in einem Positionspapier formuliert.
Die Vision: Pödelwitz soll wieder lebendig werden, mit einer starken, diversen Gemeinschaft, die im Dorf ihren "Lebensmittelpunkt" hat und dort auch arbeitet: in kleinen Betrieben, einem Coworking-Space, Café, einem Dorfladen. Oder in einer Kita, einem Kulturzentrum oder im Wohnzentrum für Menschen mit Einschränkungen. Oder auch in der Landwirtschaft.
"Geisterort" oder aufblühendes Dorfleben
Strom und Wärme für die Wohnhäuser und Betriebe sollen künftig aus erneuerbaren Energien vor Ort gewonnen werden, so der Wunsch des Vereins. Es klingt nach einem Bullerbü 2.0 - und die Pödelwitzer hoffen auf Rückenwind aus der Politik.
[Warum es eine weltweite Abkehr von der Kohle gibt, zeigt diese Story.]
Nicht ohne Grund: Volkmar Winkler etwa, der Sprecher für Energie und Umwelt der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, sagte zu Beginn des Jahres:
Pödelwitz dürfe nicht dauerhaft zum "Geisterort" verkommen. Genau das aber fürchten Dorfbewohner wie Hausner. "Jetzt ist schon wieder fast ein Jahr vergangen", sagt der Landwirt, aber an der prekären Situation habe sich nichts geändert.
Eigentumsverhältnisse als größte Hürde
Hausner verschränkt die Arme vor der Brust und sagt: "Der Bergbau hat die Sozialstruktur des Dorfes zerstört. Jetzt wollen junge Menschen mit Ideen anpacken, mit uns was Neues aufbauen. Wir wollen gehört werden und keine Steine in den Weg gelegt bekommen."
Einer dieser jungen Menschen ist Matthias Werner. Der 35-Jährige aus Leipzig sagt: "Wir haben große Ziele, aber müssen auch noch hohe Hürden nehmen."
Die größte Hürde sind die bestehenden Eigentumsverhältnisse: Überall im Dorf stoßen Besucher auf Schilder der Mibrag, die "Unbefugten" verbieten, Grundstücke zu betreten oder zu befahren.
Das Bergbauunternehmen hat Zeit
Die Pödelwitzer würden gerne eine Genossenschaft gründen und der Mibrag die Grundstücke und Häuser abkaufen, um sie fortan eigenständig verwalten zu können. "Die finanziellen Möglichkeiten hätten wir voraussichtlich", sagt Werner und verweist auf "eine Vielzahl von Unterstützerinnen und Unterstützern".
Maik Simon, Sprecher des Bergbauunternehmens, schreibt auf ZDFheute-Anfrage, dass die Mibrag Kenntnis von den Plänen habe, bislang aber "keine Pläne zum Verkauf ihrer Grundstücke im Ort" verfolge.
Simon ergänzt: "Da wir aufgrund der zukünftigen Tagebauentwicklung auch die nächsten Jahre in enger Nachbarschaft mit den verbliebenen Einwohnern von Pödelwitz verbringen werden, sind wir offen für Dialog und haben einen fairen und sachlichen Austausch angeboten."
Pödelwitzer fürchten Immobilienspekulation
Das Unternehmen plant derzeit, bis 2035 Braunkohle im Tagebau Vereinigtes Schleenhain abzubauen. Einige Menschen in Pödelwitz mutmaßen, dass die Mibrag ihre Grundstücke so lange halten wolle, um sie später, wenn das riesige Tagebauloch geflutet werde und ein See entstehe, zu weitaus höheren Preisen zu verkaufen.
Dagegen sagt der für Pödelwitz zuständige Bürgermeister Maik Kunze:
Kunze spürt die Ungeduld der Pödelwitzer, verspricht einen zeitnahen Ausbau der Infrastruktur im Dorf und weitere Gespräche mit allen Interessenvertretern. Über allem stehe die Frage: "Wie soll das Dorf künftig aussehen, welchen Charakter soll es haben?"
Umweltorganisationen und Juristen unterstützen Pödelwitz
Die Dorfbewohner und der Verein "Pödelwitz hat Zukunft" haben ihre Pläne vorgelegt. Wird man sich lokal einig, könnte die Kommune auch mit Mitteln des Bundes unterstützt werden, die für den Strukturwandel in den Braunkohleregionen bereitstehen.
Wie Fördergelder verschleudert werden
"Wir müssen nur loslegen", sagt Landwirt Hausner. Seinen Kampf ums Dorf, den er vor mehr als einem Jahrzehnt mit einer Handvoll Leuten begonnen hat, unterstützen inzwischen große Umweltorganisationen und namhafte Juristen. Aus Hausner klingen Selbstvertrauen und Zuversicht, wenn er sagt: "Wir sind längst nicht mehr allein. Wir sind viele und wir sind stark."
- Jetzt das ZDFheute Update abonnieren
Starten Sie gut informiert in den Tag oder Feierabend. Verpassen Sie nichts mit unserem kompakten Nachrichtenüberblick am Morgen und Abend. Jetzt bequem und kostenlos abonnieren.