Erneut sind Tausende Menschen gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts auf die Straße gegangen. Hintergrund: die jetzt veröffentlichte Begründung eines umstrittenen Urteils.
In Polen protestieren erneut viele Menschen gegen das Inkrafttreten eines nahezu vollständigen Abtreibungsverbots. Demonstrierende trugen Plakate mit Slogans wie "Ich denke, ich fühle, ich entscheide" und "Hölle der Frauen".
Die Menge erhielt laufend Zuwachs und zog anschließend durchs Zentrum von Warschau. Auch in anderen Großstädten wie Lodz und Stettin (Szczecin) gab es Proteste.
Keine Abtreibung trotz schwerer Fehlbildungen
Wenige Stunden zuvor hatte Polens nationalkonservative Regierung ein umstrittenes Urteil des Obersten Gerichtshofs umgesetzt, mit dem das Recht auf Abtreibung schwer fehlgebildeter Föten gekippt worden war.
Die Bewegung "Frauenstreik" hatte zu Demonstrationen vor dem Verfassungsgericht in Warschau und in weiteren Städten aufgerufen. Allein in der Hauptstadt schlossen sich nach Schätzungen mehr als 1.000 Menschen dem Protestzug an.
Der liberale Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski warf der Regierung auf Facebook vor, mit der Veröffentlichung des "Pseudourteils des Pseudogerichts gegen die Mehrheit der Polinnen und Polen" dem Staat bewusst zu schaden.
Protest wegen Veröffentlichung des umstrittenen Urteils
Angesichts einer Protestwelle hatten die regierenden Nationalkonservativen die Veröffentlichung eines umstrittenen Verfassungsgerichtsurteils vom 22. Oktober bis zum Mittwoch hinausgezögert.
Erst durch die Publikation im Amtsblatt wurde der vom höchsten Gericht für verfassungswidrig erklärte Passus aus dem geltenden Abtreibungsgesetz gestrichen, der Schwangerschaftsabbrüche bei einer schweren Fehlbildung oder Krankheit des Fötus erlaubte.
Abtreibung sei "unvereinbar" mit Verfassung in Polen
Das Oberste Gericht hatte die Abtreibung schwer fehlgebildeter Föten im Oktober als "unvereinbar" mit der polnischen Verfassung bezeichnet. Damit gaben die Richter grünes Licht für die von der Regierung geforderten Verschärfungen. Gegen die Gerichtsentscheidung waren bereits im Herbst in ganz Polen Zehntausende auf die Straße gegangen.
Bisher hatte Polen eine der restriktivsten Abtreibungsgesetzgebungen in Europa. Frauen durften bislang Schwangerschaften nur abbrechen, wenn diese Folge von Inzest oder Vergewaltigung sind, ihr Leben in Gefahr ist oder der Fötus schwere Fehlbildungen aufweist.
Polen: Jährlich weniger als 2.000 Abbrüche
Ein Verbot von Abtreibungen in letzterem Fall kommt nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen einem vollständigen Abtreibungsverbot gleich. In Polen gibt es jährlich weniger als 2.000 legal vorgenommene Schwangerschaftsabbrüche.
Frauenrechtsorganisationen schätzen jedoch, dass pro Jahr etwa 200.000 Polinnen illegal abtreiben oder dafür ins Ausland gehen. Frauenrechtlerinnen befürchten, dass diese Zahl noch steigt, wenn das Urteil des Obersten Gerichts nun umgesetzt wird.