Geflüchtete harren an der Grenze zwischen Belarus und Polen bei Eiseskälte aus, sterben im Wald - und das EU-Land Polen schaut zu. Wie lange noch?
Seit Wochen versuchen Tausende Migrant*innen, über die polnisch-belarussische Grenze in die EU zu gelangen. Polen und die EU werfen dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, Geflüchtete gezielt als politisches Druckmittel einzusetzen, indem Sicherheitskräfte sie immer wieder in Richtung Polen schicken.
Doch auch Polen trägt offenbar seinen Teil dazu bei, dass schutzbedürftige Menschen ohne humanitäre Hilfe bei Kälte und ohne Versorgung im Wald ausharren müssen. Mehrere Menschen starben bereits.
Sperrgebiet an der belarussischen Grenze
Die Zustände an der polnisch-belarussischen Grenze sind nach wie vor dramatisch. Migrant*innen berichten, dass belarussische Sicherheitskräfte sie immer wieder zu illegalen Grenzübertritten drängten:
"Wir flehten sie an: 'Wir wollen bitte zurück', aber das war ihnen egal", erzählt ein 24-jähriger Syrer, der anonym bleiben möchte.
Geflüchtete harren bei Eiseskälte an der Grenze zu Belarus und Polen aus, sterben im Wald. Die Lage ist dramatisch.
Anfang September errichtete Polen eine sogenannte Sicherheitszone - ein Sperrgebiet an der belarussischen Grenze, in das weder Hilfsorganisationen noch Berichterstatter gelangen. Seitdem gehen Aktivist*innen durch die Wälder entlang der Sperrzone, um die Geflüchteten dort abzufangen und sie zu versorgen.
"Wir haben alle Erste-Hilfe-Kurse durchlaufen. Wir überprüfen den Allgemeinzustand der Geflüchteten. Sollte dieser kritisch sein, rufen wir Fachkräfte hinzu. Häufig erwarten die Menschen, dass sie durch das Treffen mit uns in Polen Unterstützung erhalten. Wir müssen ihnen aber mitteilen, dass es so nicht ist", erzählt Kornelia Trytko von der Stiftung "Ocalenie".
Polen: Grenzschutz statt humanitäre Hilfe
Polens Priorität ist offensichtlich nicht humanitäre Hilfe, sondern Grenzschutz. Dabei fordert das Land Unterstützung aus Europa - schließlich sichere Polen auch die Grenze zur Europäischen Union und verhindere, dass Menschen illegal in die EU reisen, so die Haltung der polnischen Regierung.
Auch wenn Polen als politischer Spielball von Belarus benutzt wird, gelten nach wie vor EU-Standards. Humanitäre Hilfe leisten gehört dazu.
"Und auf der anderen Seite gibt es Europa, wo Polen gegen die Prinzipien handelt, die die Grundlage der Europäischen Union ausmachen - die der Aufnahme und der Solidarität", sagte der EU-Parlamentarier Pietro Bartolo der Sozialdemokratischen Fraktion kürzlich bei einem Besuch im polnischen Grenzgebiet.
Unter anderem der EU-Menschenrechtsrat und die katholische Kirche haben Polen aufgefordert, Hilfe in der Sperrzone zu ermöglichen. Der von Polen verhängte Ausnahmezustand ist Ende November ausgelaufen, doch das Parlament hat Regelungen beschlossen, die de facto dasselbe bedeuten: Die Sperrzone bleibt, Hilfsorganisationen müssen weiterhin draußen bleiben.
"Die Mehrheit der Bewohner unserer Stadt hilft"
Freiwillige Helfer*innen, darunter viele Polen und Polinnen, wollen weiterhin den Migrant*innen helfen - so gut man sie helfen lässt.
Eine von ihnen ist Maria Ancipiuk, Vorsitzende des Stadtrates Michalowo:
"Das sind Frauen, Kinder, Männer in allen Altersstufen, die vor Krieg und Repressionen flüchten. Eigentlich muss die polnische Regierung diesen Menschen helfen, aber sie tut es nicht. Doch die Mehrheit der Bewohner unserer Stadt hilft. Die Mehrheit bittet auch darum, dass diese Situation so schnell wie möglich gelöst wird."
Polen dürfe nicht als erbarmungsloser Akteur in Erinnerung bleiben, der Menschen im Wald erfrieren lässt, sagt sie.