Der Pole Piotr Kaszuwara will eigentlich über den Krieg in der Ukraine berichten. Doch dann wird aus dem Journalisten ein Helfer. Nun sammelt er Geld - und will wieder losfahren.
Nur wenige Minuten nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine Ende Februar schaut Piotr Kaszuwara auf sein Smartphone und weiß sofort: Er muss hin. Der Journalist aus Breslau berichtet seit sechs Jahren über den Konflikt im Donbass. In dieser Zeit hat er dort viele Freundschaften geknüpft, auch mit Soldaten. Sofort bereitet der Freelancer seine Reise in die Ukraine vor - doch sie wird anders, als erwartet.
Lage in der Ukraine: "Angst war greifbar"
Anfang März steigt der 35 Jahre alte TV-Journalist in seinen dunkelblauen Kombi, der Kofferraum voller Hilfsgüter. Er weiß nicht, was ihn erwartet. Aber wenn er schon fährt, will er nicht mit leeren Händen kommen. Mit ihm fährt ein Kollege, der britische Kriegsberichterstatter Piotr Apolinarski.
Schon an der polnisch-ukrainischen Grenze und später in Lemberg spüren sie, wie ernst die Lage ist. "Die Angst war greifbar", erzählt Kaszuwara. Noch sind keine Zerstörungen zu sehen, dafür aber Tausende aufgelöster Menschen, die verzweifelt versuchen, über die Grenze in den Westen zu fliehen. Egal wohin.
Kaszuwara sieht kilometerlange Schlangen von Menschen, die mit einem Koffer oder einer Einkaufstasche in der Hand am Grenzübergang warten. Der Anblick nimmt ihn sehr mit.
Journalist macht sich gleich wieder auf den Weg
Mit Pressedokumenten ist es für die beiden Journalisten einfacher, sich schnell im Land zu bewegen. Von überall bitten sie Menschen um Hilfe, aus Charkiw, Kiew, Odessa oder Sumy. Die Männer sagen nie Nein. Aus dem Presse-Kombi wird ein Taxi für Geflüchtete. Sie bringen Dutzende an die Grenze und fahren voll beladen mit Hilfsgütern zurück ins Landesinnere.
Nach drei, vier Tagen ist klar: entweder berichten oder helfen. Die Wahl fällt leicht. Sie packen zu. Nach zwei Wochen kehrt der Pole zurück nach Breslau. Ende März begleitet Kaszuwara zwei Freiwillige einer Breslauer Stiftung für schwerkranke Kinder, die einen Lkw mit Spendengütern im Wert von einer Viertelmillion Zloty (rund 54.000 Euro) nach Kiew bringen.
Diese Fahrt ist weniger emotional. Zwar sind die Spuren der Zerstörung sichtbarer geworden, doch es sind kaum Menschen zu sehen. Die Straßen wurden zu Barrikaden aufgeschüttet, aus Spielplätzen wurden Schützengräben. Von Checkpoint zu Checkpoint fragt sich Kaszuwara bei ukrainischen Soldaten nach dem sichersten Weg durch. "Sie wussten genau, auf welchen Straßen sich gerade das russische Militär befindet."
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Kaszuwara sammelt Geld für weitere Fahrten
In der Nacht zum 31. März ist es laut. Bombeneinschläge, Raketen, das Rattern von Maschinengewehren. In den Wohnblocks von Kiew leuchten nur wenige Lichter. Offiziell ist die Hälfte der Stadtbevölkerung geflüchtet, inoffiziell wohl viel mehr. "Auf den Straßen waren nur Soldaten zu sehen, vereinzelt Autos, meist mit Hilfsgütern oder vom Militär", sagt Kaszuwara.
Nach dem Rückzug der Russen öffnet in Kiew nach Wochen ein Restaurant. Er ist der Einzige, sagt Kaszuwara, der dort mit Soldaten einen Borschtsch isst. Die Stimmung ist zuversichtlich. Später führen sie ihn in das zerbombte Einkaufszentrum, in dem zwölf Menschen starben. Ein Kiewer Anwohner lässt Kaszuwara in die von Raketen getroffene Wohnung seiner Nachbarn. Ein riesiges Loch klafft in der Wand des zwölften Stockwerks. Von der Einrichtung steht nur noch der Esstisch an seinem Platz.
Zurück in Polen plant Kaszuwara wieder eine Fahrt in die Ukraine. Er will in den Osten - dort, wo jetzt dringend Druckverbände, Medikamente, Rollstühle und Lebensmittel gebraucht werden. Wie lange er diesmal bleibt, weiß er noch nicht. Aber seinen Kombi soll jetzt ein Kleinbus ablösen, damit er mehr Hilfsgüter und Menschen transportieren kann. Dafür und fürs Benzingeld sammelt er gerade über einen Fundraiser für seine neue Stiftung UA Future. Er weiß, dass es nicht die letzte Fahrt sein wird.
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