Die Machtprobe zwischen der EU-Kommission und Polen geht in die nächste Runde. Die Befürchtung: Mit der Justizreform könnten unbequeme Richter*innen aus dem Amt entfernt werden.
Richter Tuleya hatte scheinbar Ungeheuerliches getan. Er ließ Medienvertreter in den Gerichtssaal bei einer Entscheidung, die der nationalkonservativen Regierung nicht gefiel - und landete vor der von der PiS geschaffenen polnischen Disziplinarkammer am Obersten Gericht. Die entzog ihm die Immunität, Tuleya droht Strafverfolgung. Ein Fall, der nun von der Machtprobe zwischen Warschau und Brüssel betroffen ist. Dazu gleich.
Schon seit Jahren liegt die EU-Kommission im Clinch mit Polen, sieht sie doch den Umbau der Justiz nach dem Amtsantritt der nationalkonservativen PiS-Regierung 2015 mit großer Sorge und die Rechtsstaatlichkeit im Land in Gefahr. Das Verfassungsgericht wurde als erstes auf Linie gebracht, im Obersten Gericht der Einfluss ausgebaut.
"Fällt er Urteile, die uns nicht gefallen?"
Bei der aktuellen Klage geht es um das polnische Gesetz zur Disziplinierung von Richter*innen, das seit Mitte Februar 2020 in Kraft ist. Außerdem um die 2018 neugeschaffenen Disziplinarkammer, in ihr sitzen vor allem Richter aus dem Umfeld der PiS-Regierung. Die Disziplinarkammer dürfe nicht weiter tätig sein, so die EU-Kommission, da sie möglicherweise nicht unabhängig sei.
Nach dem Gesetz zur Disziplinierung muss jeder Richter im Land mit Geldstrafen, Degradierung oder Entlassung rechnen, wenn er die Entscheidungskompetenz eines anderen Richters oder Kammer infrage stellt - sprich - auch die Aktivitäten der Disziplinarkammer. Auch politisch darf sich ein Richter nicht betätigen - und da ist viel Raum für Interpretation. Denn viele Richter Polens, vor allem die der Richtervereinigung Iustitia, kritisieren scharf die Justizpolitik der PiS – und das könnte unter Umständen schon eine politische Tätigkeit sein.
"Nicht nur die einzelnen Gremien, die für die Richterernennung zuständig sind an oberster Stelle", so der Politikwissenschaftler Klaus Bachmann der SWPS Universität Warschau, "sondern auch bis runter zum Richter am Amtsgericht kann man kontrollieren, ist der loyal gegenüber der Regierung, fällt er Urteile, die uns nicht gefallen?"
- EU-Kommission verklagt Polen vor EuGH
Im Streit über Justizreformen verklagt die EU-Kommission Polen ein weiteres Mal vor dem Europäischen Gerichtshof.
Richter Tuleya akzeptiert die Disziplinarkammer nicht
Im April letzten Jahres hatte der EuGH Polen aufgefordert, die Arbeit der Disziplinarkammer unverzüglich auszusetzen. Doch die tagte unbeirrt weiter - und entzog Igor Tuleya, Richter am Warschauer Bezirksgericht, trotzdem und zwar nach der einstweiligen Verfügung des EuGHs, seine Immunität.
Tuleya ist seit Jahren scharfer Kritiker der Justizreformen. Sein Gehalt wurde gekürzt, er darf nicht mehr arbeiten. Seit Monaten lädt ihn die Staatsanwaltschaft vor. Tuleya folgt der Vorladung aber nicht, weil er die Disziplinarkammer als Gremium nicht akzeptiert und folglich auch nicht die Aufhebung seiner Immunität. Seit Wochen wartet man in Polen darauf, wann und wie Tuleya gezwungen wird, bei der Staatsanwaltschaft zu erscheinen.
Sprecher: Justiz ist Sache der EU-Staaten
Der EuGH soll laut dem Antrag der EU-Kommission die bisherigen Entscheidungen der Disziplinarkammer insgesamt aussetzen, sie müssten also alle hinfällig sein.
Polens Regierungssprecher Piotr Müller kommentiert die neue Klage auf Twitter. Die Regelungen der Justiz liege exklusiv in der Zuständigkeit eines Mitgliedstaates, so Müller.
Nach Einlenken klingt das nicht. Folgt der EuGH der Kommission, Polen würde aber nicht zurückrudern, drohen am Ende Geldstrafen - und eine weitere Eskalation im Streit mit Brüssel.