Warum Ost- und Westdeutsche Demokratie verschieden verstehen

    Ostdeutsche und Westdeutsche:Warum sie Demokratie verschieden verstehen

    von Luisa Zech und Laurent Krause-Courdouan
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    Regierungskritisch, staatsskeptisch, von der Politik enttäuscht: Das trifft auf Ostdeutsche häufiger zu. Umfragen zeigen, was hinter den Stimmungsunterschieden steckt.

    Politbarometer2go-Moderator Mirko Drotschmann
    Die Mehrheit der Ostdeutschen ist unzufrieden darüber, wie bei uns die Demokratie funktioniert. Im Politbarometer2go erklärt Mirko Drotschmann, warum das so ist. 04.01.2023 | 13:47 min
    Die ostdeutsche Bevölkerung ist eher unzufrieden mit der Demokratie. Das gaben 52 Prozent der Menschen aus Ostdeutschland bei einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen vom September 2022 an. Nur 31 Prozent der westdeutschen Menschen sind ebenfalls dieser Meinung.
    Heißt das, dass gut die Hälfte der befragten ostdeutschen Menschen die Demokratie ablehnt? Nein, sagt Andrea Wolf von der Forschungsgruppe Wahlen.
    Die Mehrheit der Menschen in Ostdeutschland lehnt also nicht die Demokratie als solche ab, sondern betrachtet das politische Handeln zum Teil wesentlich kritischer als die westdeutsche Bevölkerung.

    Politik
    :Politbarometer

    Bericht über die Stimmung im Land. Die Umfragen werden von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen durchgeführt.
    Politbarometer

    Ursachen für stärkere Unzufriedenheit im Osten

    Ein wichtiger Punkt, der die ostdeutsche Perspektive bis heute prägt: Die deutsche Wiedervereinigung. Die Zeit, in der sich viele Ostdeutsche mit einem massiven Veränderungsprozess konfrontiert sahen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einem "Transformationsschock", sagt Politikwissenschaftlerin Judith Enders.
    Ein Säulendiagramm im Politbarometer-Stil: Es ist zu erkennen, dass 92% die Wiedervereinigung aus heutiger Sicht für richtig halten
    Die Wiedervereinigung wird von der deutschen Bevölkerung kaum in Frage gestellt.
    Quelle: ZDF

    "Da wurde man angegliedert und hat dann sozusagen die Sozialsysteme, die Wirtschaftssysteme, die juristischen Systeme und auch die politischen Institutionen des anderen Landes übernommen. Und die wurden auch nur zum Teil angepasst oder reformiert durch diesen Prozess. Und das ist eine andere Erfahrung, als erst mal selbst wirksam so eine friedliche Revolution zu gestalten - da fehlt ein bisschen das gestalterische Element."

    Ostdeutsche fühlen sich eher zurückgesetzt

    Bis heute schwingt das Gefühl des Nicht-Verstanden-Werdens in der ostdeutschen Perspektive mit. Mehr als die Hälfte der Ostdeutschen fühlen sich eher als Bürger zweiter Klasse.
    Aussage: „Die Ostdeutschen sind nach wie vor Bürger zweiter Klasse“
    Quelle: ZDF

    Neben dem Transformationsschock herrscht außerdem ein Repräsentationsproblem in Deutschland. Die deutsche Bundesregierung soll die gesamte deutsche Gesellschaft repräsentieren. Allerdings sind 2022 nur zwei der 17 Mitglieder des Ampelkabinetts ostdeutscher Herkunft.

    Gemeinsamkeiten statt Unterschiede

    Dennoch sind sich Ost- und Westdeutschland weitestgehend einig, wenn es um die großen Probleme unserer Gesellschaft geht. Beispielsweise halten 51 Prozent der Westdeutschen und 45 Prozent der Ostdeutschen Themen rund um Energie, Klima und Umwelt für besonders wichtig.
    Wichtigste Probleme in Deutschland
    Quelle: ZDF

    Verschiedene Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen zwischen 1995 und 2022 zeigen außerdem: Ost- und Westdeutschland werden sich immer einiger.

    Wahrnehmungen in Ost und West verschieden

    54 Prozent der befragten Deutschen sind im September 2022 der Meinung, dass es mittlerweile mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland gibt.
    Zwei Balkendiagramme im Politikbaromter-Stil: Auf einem sieht man, dass Westddeutsche eher Gemeinsamkeitn sehen; Auf dem anderen sieht man, dass Ostdeutsche eher die Unterschiede sehen.
    Ostdeutsche sehen eher Unterschiede zum Westen. Westendeutsche sehen eher Gemeinsamkeiten zum Osten.
    Quelle: ZDF

    Wobei man auch hier differenzieren muss:  57 Prozent der ostdeutschen Befragten nehmen mehr Unterschiede wahr - während die meisten Befragten im Westen - ebenfalls 57 Prozent - mehr Gemeinsamkeiten sehen.