Schon lange leidet die Pressefreiheit in Russland. Nun ist eine neue Dimension erreicht. Wie neue Mediengesetze den Weg in die Diktatur ebnen und was Schwanensee damit zu tun hat.
Wenn russische Fernsehsender Schwanensee zeigen, ist das meist ein schlechtes Zeichen. Ende vergangener Woche etwa: Als der unabhängige, Kreml-kritische Kanal Doschd den Sendebetrieb einstellte, war das letzte, was er zeigte, eine alte Aufzeichnung des Balletts von Piotr Tschaikowski. Es war ein Symbol. Denn schon zu Sowjetzeiten war es im Fernsehen gang und gäbe, Schwanensee zu zeigen, wenn man der Bevölkerung wichtige Entwicklungen vorenthalten wollte - etwa den endgültigen Zusammenbruch der Sowjetunion 1991.
Auch heute hat Russland, Rechtsnachfolger der UdSSR, einen Zusammenbruch zu beklagen: den Zusammenbruch unabhängiger Nachrichtenmedien. Und auch heute wollen die Machthabenden den Menschen im Land etwas vorenthalten: die wahren Beweggründe und Bilder des Kriegs in der Ukraine.
Neues Mediengesetz droht mit 15 Jahren Haft
Nach einem am Freitag von Wladimir Putin unterzeichneten Mediengesetz können Menschen zur Verantwortung gezogen werden, die öffentlich die russische Armee "verunglimpfen". Zudem drohen Menschen bis zu 15 Jahre Haft, wenn sie in Medien "Falschinformation" über die aktuell im Krieg in der Ukraine kämpfenden russischen Streitkräfte verbreiten. Das Wort "Krieg" ist tabu, stattdessen ist von einer "militärischen Spezialoperation" die Rede. Am Montag wurden die ersten Geldstrafen nach dem Inkrafttreten der neuen Gesetze verhängt.
Deshalb musste Doschd schließen. Deshalb sind die Nachrichtenwebsite Meduza oder der Hörfunksender Echo Moskaus nicht mehr in Russland abrufbar. Deshalb haben viele russische, aber auch internationale Journalist*innen das Land verlassen - ein Schritt, den viele trotz zunehmender Repressionen des Kremls so schnell nicht kommen sahen.
Während Putins Krieg in der Ukraine tobt, erlebt Russland eine mediale Zeitenwende. Russinnen und Russen bleiben kaum noch Möglichkeiten, sich im Inland unabhängig zu informieren.
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"Das Mediengesetz stellt Begriffe wie Krieg oder Invasion unter Strafe […], es drohen drakonische Strafen“, so Peter Frey, ZDF-Chefredakteur.
Kreml will Menschen eigenes Narrativ zur Ukraine einpflanzen
Nun galt Russland auch vor dem neuen Mediengesetz nicht gerade als Hort der Pressefreiheit - dennoch kam die internetaffine, russische Bevölkerung bis vor wenigen Tagen noch vergleichsweise leicht an unabhängige Informationen, daran änderten auch die Demonstrationen für Alexej Nawalny und die dadurch zunehmende Zensur wenig. Und auch ausländische Korrespondent*innen konnten freier berichten als etwa ihre Kolleg*innen in China.
Doch Putins Einmarsch in die Ukraine hat alles verändert - der Kreml versucht mit aller Gewalt, sein eigenes Narrativ in die Köpfe der Menschen einzupflanzen: Dass die Ukraine der Aggressor sei und Russlands Truppen gegen die "Nazifizierung" des Nachbarn im Westen kämpften. Die neuen Gesetze wirken wie eine Reaktion auf die berechtigte Sorge, dass viele Russinnen und Russen dieser Erklärung misstrauen könnten.
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Russlands Umbau zur Diktatur
Putin bemüht nicht einmal mehr seine über Jahre gepflegte pseudo-demokratische Fassade - mit Folgen für die Zukunft des Landes. "Russland wird weniger autoritär sein, sondern vielmehr diktatorisch", prognostizierte entsprechend Tichon Dsjadko, Chefredakteur von Doschd, in den Tagesthemen.
Viele unabhängige Medien, die auf Russisch publizieren und nun nicht mehr abgerufen werden können, verweisen auf ihre Telegram-Kanäle, VPN-Zugänge oder das Darknet. Das Team um den gefangenen russischen Oppositionellen Nawalny hat zudem angekündigt, ein eigenes unabhängiges Medium an den Start bringen zu wollen, das "den heuchlerischen und betrügerischen 'Forderungen des Gesetzes' nicht nachkommen" soll.
Es bleiben also Schlupflöcher - doch ihre Existenz zeigt: Wer solchen Aufwand betreiben muss, um an unabhängige Nachrichten zu kommen, ist nicht nur auf dem Weg in eine Diktatur, sondern lebt längst in einer.
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