Putins zweite historische Rede in wenigen Tagen wird zur Kriegserklärung an den Westen: Wie er versucht, USA und Nato zu diskreditieren - und die Bevölkerung zu mobilisieren.
Es war Wladimir Putins zweite historische Rede in nur vier Tagen: Während das Gesicht des russischen Präsidenten am Donnerstagmorgen über die Bildschirme flimmerte, waren in mehreren ukrainischen Städten bereits Explosionen zu hören, die russische Offensive in der Ukraine war längst im vollen Gange.
In seiner Rede versuchte Putin, diesen Schritt zu erklären - in ähnlicher Manier wie am Montag, als er die Unabhängigkeit von Donezk und Luhansk medienwirksam anerkannte: im selben Raum, mit der scheinbar selben Krawatte, im selben historisch-staatstragenden Ton.
Kriegserklärung an den Westen
Seine Rede ist eine Kriegserklärung an den Westen. Nachdem Putin sich in der Montags-Rede noch auf die russisch-ukrainische Geschichte fokussierte, umreißt die aktuelle Ansprache die Welt der vergangenen 30 Jahre. Die Reden sind klar aufeinander aufgebaut. Dabei lassen sich drei Leitgedanken erkennen: der Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr, die Diskreditierung des Westens - und der Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg.
Nicht Russland, das in die Ukraine einmarschiert ist und in den vergangenen Monaten eine Drohkulisse an ihren Grenzen aufbaute, ist für Putin Täter - sondern Opfer. Die Offensive ist in seinen Augen die Reaktion auf die Osterweiterung der Nato und die "Angst und Sorge" seines Landes.
Zentral für seine Argumentation ist dabei der Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg: 1940 und 1941 habe sich die Sowjetunion angesichts eines Angriffs aus Nazideutschland zu passiv verhalten, erinnert Putin und droht:
"Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine"
Die Ukraine und die Länder des Westens setzt er bewusst mit dem deutschen NS-Regime gleich und wirft ihnen vor, Neonazis zu unterstützen.
Dass der Kreml seit Jahren gezielt die rechten und nationalistischen Bewegungen und Parteien in Europa fördert, verschweigt er bewusst und inszeniert sich und Russland im Gegenteil als Antifaschisten, die sich "für die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine einsetzen".
Den Vorwurf, die Ukraine sei nationalistisch, äußert Putin seit Jahren - und versucht damit, die Bedeutung zu überhöhen, die rechte Kräfte in der ukrainischen Demokratie- und Unabhängigkeitsbewegung hatten. Weil auch rechtsnationale, zum Teil neofaschistische ukrainische Kräfte damals auf die Straße gegangen sind, diskreditiert Putin seit jeher die gesamte Demokratiebewegung und ukrainische Regierung.
Putin macht sich westliche Narrative zu eigen - und kehrt sie um
Der russische Angriff ist aus Putins Sicht jedoch nicht nur eine Reaktion auf die Nato-Osterweiterung - sondern auch auf die westlichen Einsätze auf dem Balkan, im Irak, in Syrien und Libyen. So sei der Einsatz der westlichen Koalition in Syrien ohne die Zustimmung der syrischen Regierung "nichts als Aggression, Intervention". Nach dieser Logik müsste das Gleiche für seinen Angriff auf die Ukraine gelten.
Bewusst kehrt Putin das westliche Narrativ mit Blick auf Russland um - und macht es sich zu eigen, bezeichnet den Westen als "Reich der Lügen" - nicht Russland mit seinen Trollfabriken, staatlichen Fake News und manipulierten Fernsehbildern.
Kriegsrhetorik, Pathos, Umgangssprache
Dabei spickt Putin seine Rede mit Kriegsrhetorik ("Die Kriegsmaschinerie bewegt sich und nähert sich, ich wiederhole, unseren Grenzen"), Pathos ("Und für unser Land geht es letztlich um Leben und Tod, um unsere historische Zukunft als Volk") und derber Umgangssprache ("Warum spuckt der Westen auf Interessen und absolut berechtigte Forderungen?"). Sein Ziel ist die emotionale Mobilmachung der Bevölkerung.
Nicht nur für die Ukraine verheißt diese Rede nichts Gutes - sie stellt die gesamte Welt- und Friedensordnung der vergangenen 30 Jahre auf den Prüfstand. Denn als Oberhaupt der Atommacht Russland macht Wladimir Putin unmissverständlich klar:
- Aktuelles zum Krieg in der Ukraine
Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.