LGBTQ in Russland: Wie ein Gesetz Putins Macht ausbaut

    LGBTQ in Russland:Wie ein nebulöses Gesetz Putins Macht ausbaut

    von Sebastian Ehm
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    Die Lage für homosexuelle Personen in Russland verschlechtert sich weiter. Das verschärfte Gesetz gegen sogenannte LGBTQ-Propaganda nützt Putin auf vielfältige Weise.

    Wladimir Putin
    Für Russlands Präsident Wladimir Putin sind Homosexualität und die LGBTQ-Community eine "Abart des Westens".
    Quelle: epa

    Am 30. September dieses Jahres hielt Russlands Präsident Wladimir Putin im prachtvollen Georgssaal des Kreml eine weltweit beachtete Rede zum Anschluss der ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson. Der Fokus der Weltöffentlichkeit lag damals auf diesem völkerrechtswidrigen Anschluss und Putins Drohungen gegenüber dem Westen. Vor allem dessen atomares Säbelrasseln beunruhigte die Nato.  

    Putin: "Unterminierung moralischer Normen"

    Doch im zweiten Teil seiner Ausführungen machte Putin einen Exkurs, der fast unterging. In seinen Beschimpfungen des Westens war es dem Kremlherrscher wichtig, einen Punkt deutlich zu betonen. Homosexualität und die LGBTQ-Community - das sei eine Abart des Westens, eine Unterminierung moralischer Normen.
    Er bezeichnete es als Satanismus und fragte sich vor der versammelten politischen Elite Russlands, ob der Westen den Verstand verloren habe.

    Wollen wir etwa, dass bei uns in Russland, an die Stelle von Mama und Papa ein Elternteil Nummer 1, Nummer 2 und Nummer 3 tritt?

    Wladimir Putin, Präsident Russlands

    Tonfall von Putin gegen LGBTQ wird schriller

    Es ist nicht neu, dass Putin gegen Homosexualität wettert, er tut das seit Jahren. Doch der Tonfall wird schriller. Das russische Parlament folgte ihm auf dem Fuß. Nicht einmal zwei Monate nach Putins Rede verschärfte die Duma am 24. November einstimmig die Gesetzgebung gegen die LGBTQ-Community.
    Das neue Gesetz verbietet Werbung, Medien- und Online-Inhalte, Bücher, Filme und Theateraufführungen, die "LGBTQ-Propaganda" enthalten. Die englische Abkürzung LGBTQ steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-Menschen sowie queere Menschen.

    Gesetz schwammig und nebulös formuliert

    Doch wie viele Gesetze, die in Russland derzeit verabschiedet werden, ist auch dieses sehr schwammig und nebulös formuliert. Niemand kann im Moment mit Sicherheit sagen, was es in der Realität bedeutet und wie die Gerichte das Gesetz anwenden.
    Doch klar ist, das Gesetz macht es dem Sicherheitsapparat möglich, schon bei kleinsten Vergehen strafrechtlich vorzugehen. So könnte es schon reichen, wenn man öffentlich sagt, dass man homosexuell ist. Das könnte schon als LGBTQ-Propaganda ausgelegt werden.
    Militär
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    Aktivist sieht innenpolitisches Ablenkungsmanöver

    Alexey Sergeew ist russischer LGBTQ-Aktivist und kämpft seit Jahren für Gleichberechtigung. Mehrfach nahmen ihn Sicherheitskräfte bei Demonstrationen in Gewahrsam. Für ihn ist das Gesetz ein innenpolitisches Ablenkungsmanöver der Regierung. Es laufe nicht an der Front in der Ukraine.

    Man will einen Sündenbock präsentieren, um konservative Wählerschichten zu hofieren.

    Alexey Sergeew, LGBTQ-Aktivist

    Tatsächlich zeigen Umfragen des Instituts Levada, dass die Mehrheit der Russen (57 Prozent) Homosexuellen nicht die gleichen Rechte wie anderen Bürgern einräumen will. Es scheint, als würde die staatlich gelenkte Propaganda verfangen.
    So gaben 38 Prozent der Befragten an, dass sie ihre Einstellung gegenüber Homosexuellen am ehesten mit Angst oder Ekel beschreiben würden. 2003 waren das noch 21 Prozent. Dabei gaben 87 Prozent der Befragten an niemanden zu kennen, der offen homosexuell lebt.

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    Übergriffe gegen Homosexuelle könnten zunehmen

    Die jüngste Gesetzesverschärfung habe jedenfalls zur Folge, dass die LGBTQ-Community quasi komplett mundtot gemacht wird, sagt Sergeew. "Die Massenmedien werden vor Interviews zurückschrecken, denn ein Interview mit einer LGBTQ-Person kann schon als Propaganda ausgelegt werden."

    Für mich als Aktivisten wird es schon schwer sein, irgendwelche Probleme auch nur anzusprechen.

    Alexey Sergeew, LGBTQ-Aktivist

    Die Lebensumstände für LGBTQ-Personen in Russland werden deswegen immer schwerer. Viele sind bereits geflohen. Sergeew fürchtet, dass durch die Gesetzesverschärfung immer mehr Leute der staatlichen Propaganda glauben. Hass und gewaltsame Übergriffe könnten zunehmen.
    Für Putin ist das Gesetz also nicht nur ein innenpolitisches Ablenkungsmanöver, sondern vor allem ein weiterer Baustein in seinem autoritären Setzkasten. Es gibt seinem Sicherheitsapparat eine zusätzliche rechtliche Grundlage, um gegen regimekritische Personen vorzugehen.    

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