Gründung 1922: So viel Sowjetunion steckt in Putins Russland

    100 Jahre nach Gründung:So viel Sowjetunion steckt in Putins Russland

    Nina Niebergall
    von Nina Niebergall
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    Vor 100 Jahren wurde die Sowjetunion gegründet. Inzwischen ist das kommunistische Großreich längst untergegangen. Doch Putin will sich damit nicht abfinden.

    Wladimir Putin will einen Platz in Russlands Geschichtsbüchern, und zwar nicht irgendeinen. Als großer Herrscher, in der Tradition von Iwan dem Schrecklichen, Peter dem Großen und - Josef Stalin. Männer ganz unterschiedlicher Epochen und unterschiedlicher Ideologien, denen eines gemein ist: Sie haben Russland zu einer Großmacht gemacht.

    Putin trauert um Sowjetunion

    Entsprechend negativ bewertet Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion. Und machte nie ein Geheimnis daraus. Schon 2005 bezeichnete er den Zerfall als "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts".

    Die Sowjetunion war ein Imperium. Putins zentraler Wunsch und Traum ist es, das imperialistische Land zurückzukriegen und es zu stärken.

    Andrej Kolesnikow, russischer Journalist und Politikwissenschaftler

    Am 21. Dezember 2021 sprach er in einer Dokumentation im russischen Staatsfernsehen von einer "Tragödie".

    Für mich war das genauso eine Tragödie wie für die überwältigende Mehrheit unserer Bürger. Was bedeutete denn der Zerfall der Sowjetunion? Das war der Zerfall des historischen Russlands mit der damaligen Bezeichnung Sowjetunion. Wir haben vierzig Prozent unseres Territoriums verloren.

    Wladimir Putin am 21. Dezember 2021

    Ein Fingerzeig? Zwei Monate später griffen russische Truppen die Ukraine an. Putins Narration lautet: Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion leben russische Bürger nur zufällig außerhalb Russlands. In der Ukraine müssen sie von einem Nazi-Regime befreit werden.

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    Großmachtfantasien - ohne Ideologie

    Dabei spielen Ideologien in Putins Weltsicht eine untergeordnete Rolle. Wenn er der Sowjetunion hinterher trauert, dann meint er damit keineswegs ihr kommunistisches System. Den Kommunismus wiederherstellen zu wollen wäre aus seiner Sicht auch widersinnig – alleine schon, weil Putin dem Kapitalismus seine Multimilliarden zu verdanken hat.
    Aber er kultiviert die Sowjet-Nostalgie, die viele Russen pflegen. Mehr als 60 Prozent bewerten die Auflösung der Sowjetunion negativ, laut Levada Center. Die dunklen Kapitel sind in den Hintergrund gerückt.

    Damals war alles gut. Aus der Erinnerung verschwand jedes Andenken an die Tyrannei, an das konfiszierte Eigentum, über die Massenmörder, an den Gesinnungsterror, an die Verfolgung der Kirche und so weiter. Es gibt dieses Gefühl der Ordnung.

    Andrej Zubov, Historiker

    Dabei ließ vor allem der langjährige Diktator Josef Stalin politische Gegner verfolgen und ermorden. Die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft brachte Millionen Menschen den Hungertod. Die meisten waren Ukrainer.

    Ehemalige Sowjetrepubliken wenden sich ab

    Aber diese Faszination vergeht. Wegen dieses schrecklichen Krieges mit der Ukraine. Obwohl Russland und die Ukraine verschiedene Sowjetrepubliken waren, haben viele Menschen keinen Unterschied gemacht. Es gab viele Ehen zwischen Russen, Ukrainern und Belarussen. Es wurde russisch gesprochen. Und jetzt dieser Krieg.

    Andrej Zubov, Historiker

    Heute wenden sich die ehemaligen Sowjetrepubliken mehr und mehr von Russland ab. Die Staaten, die sich 1991 zur GUS - Gemeinschaft unabhängiger Staaten - zusammengeschlossen haben, wollen sich nicht an ein Regime binden, das viele Verbündete verloren hat, sanktioniert wird, womöglich auch ihre Länder irgendwann angreifen könnte.

    Putin hat faktisch die GUS-Länder verloren, vielleicht versteht er das noch nicht.

    Andrej Kolesnikow, russischer Journalist und Politikwissenschaftler

    Der russische Journalist und Politikwissenschaftler Andrej Kolesnikow spricht deshalb vom "letzten Akt des Zusammenbruchs der Sowjetunion". Das Großreich, was Putin eigentlich wiederherstellen will, bröckelt. Und gehört bald wohl endgültig der Vergangenheit an.
    Nina Niebergall berichtet als ZDF-Korrespondentin über Russland, die Kaukasus-Region und Zentralasien.