Der russische Präsident Wladimir Putin hat eine Teilmobilmachung der Streitkräfte angekündigt. Wie ist das einzuordnen? Militärexperte Masala mit einer ersten Analyse.
Knapp sieben Monate nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine hat Russland eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet. Er habe diese Entscheidung nach einem Vorschlag des Verteidigungsministeriums getroffen und das Dekret unterschrieben, sagte Kremlchef Wladimir Putin in einer Fernsehansprache am Morgen.
300.000 Reservisten werden gestellt
Die Teilmobilisierung beginne noch an diesem Mittwoch. Damit wolle er auch Personalprobleme an der Front lösen. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu zufolge sollen 300.000 Reservisten gegen die Ukraine mobilisiert werden. Insgesamt gebe es 25 Millionen Reservisten in Russland.
Laut Schoigu wurden seit Beginn der russischen Offensive am 24. Februar 5.937 russische Soldaten getötet - eine Zahl, die weit unter den ukrainischen und westlichen Schätzungen liegt. Er fügte hinzu, dass sein Land "nicht so sehr gegen die Ukraine, sondern gegen den Westen" kämpfe.
Zugleich kündigte Putin an, die Schein-Referenden in den besetzten Gebieten der Ukraine über einen Beitritt zu Russland zu unterstützen.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat eine Teilmobilmachung der Streitkräfte angekündigt. Lesen Sie hier, wie die internationale Gemeinschaft darauf reagiert.
Kiew hat mit Spott auf die von Russlands Präsident Wladimir Putin angeordnete Teilmobilmachung reagiert. Der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, fragte auf Twitter: "Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?" Der für "drei Tage" geplante Krieg dauere bereits 210 Tage. Die Russen, die eine Vernichtung der Ukraine forderten, hätten nun unter anderem die Mobilmachung, geschlossene Grenzen, blockierte Konten und Gefängnisstrafen für Deserteure erhalten. "Das Leben hat einen wunderbaren Sinn für Humor", schloss Podoljak.
Bundeskanzler Olaf Scholz sieht die russische Teilmobilmachung als Zeichen der Schwäche. "Die jüngsten Entscheidungen der russischen Regierung sind ein Akt der Verzweiflung", sagt Scholz am Rande der UN-Vollversammlung in New York. "Russland kann diesen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen." Präsident Wladimir Putin habe die Situation völlig unterschätzt. Auch die Scheinreferenden in den besetzten Gebieten in der Ukraine würden niemals akzeptiert.
Die Bundesregierung hat Russlands Teilmobilmachung im Krieg gegen die Ukraine scharf kritisiert. Die Entscheidung von Kreml-Chef Wladimir Putin, 300.000 Reservisten zu mobilisieren, sei "eine weitere Eskalation dieses völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine", sagte Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) in Berlin. Dies sei ein "schlimmer und falscher Schritt aus Russland", über dessen Folgen die Bundesregierung beraten werde. Der Bundeswirtschaftsminister fügte hinzu, für ihn sei "klar, dass wir die Ukraine weiter vollumfänglich unterstützen werden".
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hält die Ankündigung einer Teilmobilmachung durch Russlands Präsident Wladimir Putin für eine Eskalation des Krieges. Gleichwohl sei der Schritt nicht überraschend gekommen, die Nato jedenfalls bleibe ruhig, sagt Stoltenberg in einem Reuters-Interview.
Die EU verurteilte Putins Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen. Der russische Präsident nutze Nuklearwaffen "als Teil seines Terror-Arsenals", sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell.
"Scheinreferenden und Mobilmachungen sind Zeichen der Schwäche, des russischen Versagens", erklärt Brink auf Twitter. "Die Vereinigten Staaten werden den Anspruch Russlands auf angeblich annektiertes ukrainisches Gebiet niemals anerkennen, und wir werden der Ukraine so lange wie nötig zur Seite stehen."
"Putins Bruch seiner eigenen Versprechen, Teile seiner Bevölkerung nicht zu mobilisieren, und die illegale Annexion von Teilen der Ukraine sind ein Eingeständnis, dass seine Invasion gescheitert ist."
Sprecher Wang Wenbin forderte alle Parteien zum Dialog und zu Konsultationen auf, um einen Weg zu finden, die Sicherheitsbedenken aller Parteien zu berücksichtigen. China habe sich stets für "die souveräne und territoriale Integrität aller Länder" eingesetzt.
Finnland beobachtet die Situation im benachbarten Russland nach der von Präsident Wladimir Putin angeordneten Teilmobilmachung genau, betont Verteidigungsminister Antti Kaikkonen. "Was die Umgebung Finnlands betrifft, so kann ich sagen, dass die militärische Lage stabil und ruhig ist", erklärt Kaikkonen. "Unsere Verteidigungskräfte sind gut vorbereitet und die Situation wird genau überwacht."
"Die Mobilisierung, der Aufruf zu Referenden in Donezk, all das ist ein Zeichen von Panik. Seine Rhetorik über Atomwaffen haben wir schon oft gehört, und sie lässt uns kalt", sagte Rutte dem niederländischen Sender NOS. "Das ist alles Teil der Rhetorik, die wir kennen. Ich würde dazu raten, ruhig zu bleiben."
Russland werde versuchen, die Ukraine zu zerstören und ihre Grenzen zu ändern, sagte er. "Wir werden gemeinsam mit unseren Verbündeten alles tun, damit die Nato die Ukraine noch stärker unterstützt, damit sie sich selbst verteidigen kann." Morawiecki forderte mehr Hilfe für Kiew von den westlichen Verbündeten.
Das russische Nachbarland und EU-Mitglied Lettland will Russen, die vor der Teilmobilmachung fliehen, keine Zuflucht gewähren, wie der der lettische Außenminister Edgars Rinkevics auf Twitter schreibt. Er führt dafür Sicherheitsgründe an. Lettland werde sich mit Verbündeten und Partnern über gemeinsame Maßnahmen im Zusammenhang mit der von Russlands Präsident Wladimir Putin eingeleiteten Mobilmachung beraten. "Wir dürfen seiner Erpressung nicht nachgeben und müssen die Ukraine so gut wie möglich unterstützen."
"Die von Wladimir Putin verkündete Teilmobilmachung ist ein Versuch, den Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, weiter zu eskalieren. Und sie ist ein weiterer Beweis dafür, dass Russland der alleinige Aggressor ist." (...) "Es ist notwendig, der Ukraine zu helfen. Und in unserem eigenen Interesse müssen wir dies fortsetzen."
"Ich verurteile Russlands Pseudoreferenden in den besetzten Gebieten der Ukraine auf das Schärfste. Das ist eine illegale Annexion, die nicht akzeptiert werden kann. Wir bekräftigen unsere Unterstützung für die volle territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine."
Putin: Alle "verfügbaren Mittel"
Russland werde alle "verfügbaren Mittel" einsetzen, um sein Territorium zu schützen, sagte Putin in seiner Ansprache an die Nation.
Das ist kein Bluff. (...) Diejenigen, die versuchen, uns mit Atomwaffen zu erpressen, sollten wissen, dass sich der Wind auch in ihre Richtung drehen kann.
Wladimir Putin, russischer Präsident
Habeck: Weiter Unterstützung für die Ukraine
Die Teilmobilmachung bedeutet nach Putins Worten, dass Reservisten eingezogen werden. Sie würden den gleichen Status und die gleiche Bezahlung bekommen wie die jetzigen Vertragssoldaten und auch vor dem Fronteinsatz noch einmal militärisch geschult, versicherte er.
Krieg gegen die Ukraine - Teilmobilmachung in Russland Moderation: Antje Pieper
Vize-Kanzler Robert Habeck hat die angekündigte Teilmobilmachung der Streitkräfte kritisiert. Dies sei eine weitere Eskalation des völkerrechtswidrigen Krieges gegen die Ukraine, sagte der Grünen-Politiker. Habeck bezeichnete den Schritt als Fehler:
Ein schlimmer und falscher Schritt.
Robert Habeck (Grüne), Vizekanzler
Die Bundesregierung werde beraten, welche Antwort darauf zu geben sei. Jedenfalls werde die Ukraine weiterhin vollumfänglich unterstützt.
Was bedeutet die Teilmobilmachung?
Der Militärexperte Carlo Masala glaubt, dass Putin mit der Teilmobilmachung einen Mittelweg geht. "Er aktiviert die Reserve und jene, die gedient haben", so Masala. "Das Schicken an die Front geht dadurch schneller."
Er holt sich die Männer, die ohnehin einen militärischen Hintergrund haben. Es geht nicht um den 20-Jährigen, der sowieso nicht in den Krieg will. Das ist ein Mittelweg.
Carlo Masala, Bundeswehr Universität München
Nach der erfolgreichen ukrainischen Großoffensive ist Putin unter Druck. Mit der Teilmobilmachung will er vermutlich einerseits die Frontlinien verstärken, analysiert Masala, und gleichzeitig die professionellen Militärs entlasten, die dort derzeit oft selbst kämpfen müssen.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist auch ein Kampf um Worte. Russland hat Teile im Osten der Ukraine als "Volksrepubliken" anerkannt. Dort sollen nun "Referenden" stattfinden, um über einen Beitritt zur Russischen Föderation abstimmen zu lassen. Auf ähnliche Weise annektierte Russland 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Es handelt sich dabei nach westlicher Einschätzung jedoch lediglich um Scheinreferenden und nicht um freie Abstimmungen.
Daher setzen wir einige Worte aus dem Sprachgebrauch des Kremls in Anführungszeichen. Gleiches gilt auch für die "militärische Spezialoperation", wie Moskau den Angriffskrieg auf die Ukraine nach wie vor nennt.
Putins TV-Rede war zudem geprägt von Anti-Nato-Narrativen. Masala beobachtet, dass er verbal immer schärfer gegen das westliche Militärbündnis austeilt.
Er rückt das Nato-Narrativ in den Vordergrund, um nicht zugeben zu müssen, dass er gegen die Ukraine empfindliche Niederlagen einstecken muss.
Carlo Masala, Politikwissenschaftler
Putins Drohungen müssten ernst genommen werden, sagte die Staatssekretärin im britischen Außenministerium Gillian Keegan bei Sky News. Sie sprach von einer besorgniserregenden Eskalation.
Russland beziffert Verluste der Ukraine
Knapp sieben Monate nach Kriegsbeginn hat Russland die Zahl getöteter ukrainischer Soldaten jetzt mit mehr als 60.000 beziffert. Hinzu kämen fast 50.000 Verletzte, so dass die "Verluste" insgesamt bei mehr 100.000 lägen, sagte Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Morgen im Staatsfernsehen.
Unter einer Mobilmachung versteht man die Vorbereitung der Streitkräfte eines Staates auf den Einsatz im Krieg. Bei einer Generalmobilmachung gilt das für alle verfügbaren Kräfte, bei einer Teilmobilmachung nur für einen Teil der Streitkräfte.
Bei einer Generalmobilmachung müssten alle russischen Männer im wehrfähigen Alter in den Kriegsdienst. Durch die Teilmobilmachung in Russland werden nun nur Reservisten zum Dienst an der Waffe einberufen. Nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu sollen 300.000 Reservisten die russischen und separatistischen Kräfte im Süden und Osten der Ukraine verstärken. Westliche Analysten gehen jedoch davon aus, dass nur ein Bruchteil der Reservisten sofort einsatzbereit ist.
Durch die Teilmobilmachung kann der Kreml jedoch steuern, aus welchen Gebieten Soldaten einberufen werden und damit zum Beispiel die innenpolitisch wichtigen Metropolregionen wie Moskau und St. Petersburg verschonen.
Damit habe die Ukraine mehr als die Hälfte ihrer einstigen Streitkräfte, die anfangs aus mehr als 200.000 Menschen bestanden haben sollen, verloren, behauptete Schoigu. Unabhängig überprüfen ließ sich das nicht. Die Ukraine selbst hatte die Todesopfer in den eigenen Reihen Ende August auf annähernd 9.000 Soldaten beziffert.
Tweet von Mychajlo Podoljak
Ein Klick für den Datenschutz
Erst wenn Sie hier klicken, werden Bilder und andere Daten von Twitter nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Twitter übertragen. Über den Datenschutz dieses Social Media-Anbieters können Sie sich auf der Seite von Twitter informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
Kiew reagierte mit Spott auf die von Putin angeordnete Teilmobilmachung. Der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, fragte auf Twitter: "Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?" Der für "drei Tage" geplante Krieg dauere bereits 210 Tage. Die Russen, die eine Vernichtung der Ukraine forderten, hätten nun unter anderem die Mobilmachung, geschlossene Grenzen, blockierte Konten und Gefängnisstrafen für Deserteure erhalten.
Das Leben hat einen wunderbaren Sinn für Humor.
Mychajlo Podoljak, externer Berater im Selenskyj-Büro
Nach der Ankündigung einer Teilmobilmachung in Russland wächst dort Internet-Daten zufolge rasant die Nachfrage nach One-Way-Flügen. Statistiken von Google Trends zeigen einen sprunghaften Anstieg der Suchanfragen nach Aviasales, der beliebtesten russischen Website für den Kauf von Flügen.
Direktflüge von Moskau nach Istanbul und Eriwan in Armenien - beides Ziele, die Russen eine visumfreie Einreise ermöglichen - sind laut Aviasales am heutigen Mittwoch ausverkauft. Einige Strecken mit Zwischenstopps, darunter die von Moskau nach Tiflis, sind ebenfalls nicht verfügbar. Die billigsten Flüge von der Hauptstadt nach Dubai kosteten mehr als 300.000 Rubel (umgerechnet knapp 5.000 Euro) - etwa das Fünffache des durchschnittlichen russischen Monatslohns.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
Liveblog
Quelle: mit Material von ZDF, dpa, Reuters, AP, AFP