Ukraine-Krieg: Putin kündigt Teilmobilmachung an

    Ukraine-Krieg:Putin kündigt Teilmobilmachung an

    21.09.2022 | 13:25
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    Der russische Präsident Wladimir Putin hat eine Teilmobilmachung der Streitkräfte angekündigt. Wie ist das einzuordnen? Militärexperte Masala mit einer ersten Analyse.

    Knapp sieben Monate nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine hat Russland eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet. Er habe diese Entscheidung nach einem Vorschlag des Verteidigungsministeriums getroffen und das Dekret unterschrieben, sagte Kremlchef Wladimir Putin in einer Fernsehansprache am Morgen.

    300.000 Reservisten werden gestellt

    Die Teilmobilisierung beginne noch an diesem Mittwoch. Damit wolle er auch Personalprobleme an der Front lösen. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu zufolge sollen 300.000 Reservisten gegen die Ukraine mobilisiert werden. Insgesamt gebe es 25 Millionen Reservisten in Russland.
    Laut Schoigu wurden seit Beginn der russischen Offensive am 24. Februar 5.937 russische Soldaten getötet - eine Zahl, die weit unter den ukrainischen und westlichen Schätzungen liegt. Er fügte hinzu, dass sein Land "nicht so sehr gegen die Ukraine, sondern gegen den Westen" kämpfe.
    Zugleich kündigte Putin an, die Schein-Referenden in den besetzten Gebieten der Ukraine über einen Beitritt zu Russland zu unterstützen.
















    Putin: Alle "verfügbaren Mittel"

    Russland werde alle "verfügbaren Mittel" einsetzen, um sein Territorium zu schützen, sagte Putin in seiner Ansprache an die Nation.

    Das ist kein Bluff. (...) Diejenigen, die versuchen, uns mit Atomwaffen zu erpressen, sollten wissen, dass sich der Wind auch in ihre Richtung drehen kann.

    Wladimir Putin, russischer Präsident

    Habeck: Weiter Unterstützung für die Ukraine

    Die Teilmobilmachung bedeutet nach Putins Worten, dass Reservisten eingezogen werden. Sie würden den gleichen Status und die gleiche Bezahlung bekommen wie die jetzigen Vertragssoldaten und auch vor dem Fronteinsatz noch einmal militärisch geschult, versicherte er.

    Krieg gegen die Ukraine - Teilmobilmachung in Russland
    Moderation: Antje Pieper

    Vize-Kanzler Robert Habeck hat die angekündigte Teilmobilmachung der Streitkräfte kritisiert. Dies sei eine weitere Eskalation des völkerrechtswidrigen Krieges gegen die Ukraine, sagte der Grünen-Politiker. Habeck bezeichnete den Schritt als Fehler:

    Ein schlimmer und falscher Schritt.

    Robert Habeck (Grüne), Vizekanzler

    Die Bundesregierung werde beraten, welche Antwort darauf zu geben sei. Jedenfalls werde die Ukraine weiterhin vollumfänglich unterstützt.

    Was bedeutet die Teilmobilmachung?

    Der Militärexperte Carlo Masala glaubt, dass Putin mit der Teilmobilmachung einen Mittelweg geht. "Er aktiviert die Reserve und jene, die gedient haben", so Masala. "Das Schicken an die Front geht dadurch schneller."

    Er holt sich die Männer, die ohnehin einen militärischen Hintergrund haben. Es geht nicht um den 20-Jährigen, der sowieso nicht in den Krieg will. Das ist ein Mittelweg.

    Carlo Masala, Bundeswehr Universität München

    Nach der erfolgreichen ukrainischen Großoffensive ist Putin unter Druck. Mit der Teilmobilmachung will er vermutlich einerseits die Frontlinien verstärken, analysiert Masala, und gleichzeitig die professionellen Militärs entlasten, die dort derzeit oft selbst kämpfen müssen.

    Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist auch ein Kampf um Worte. Russland hat Teile im Osten der Ukraine als "Volksrepubliken" anerkannt. Dort sollen nun "Referenden" stattfinden, um über einen Beitritt zur Russischen Föderation abstimmen zu lassen. Auf ähnliche Weise annektierte Russland 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Es handelt sich dabei nach westlicher Einschätzung jedoch lediglich um Scheinreferenden und nicht um freie Abstimmungen.

    Daher setzen wir einige Worte aus dem Sprachgebrauch des Kremls in Anführungszeichen. Gleiches gilt auch für die "militärische Spezialoperation", wie Moskau den Angriffskrieg auf die Ukraine nach wie vor nennt.

    Putins TV-Rede war zudem geprägt von Anti-Nato-Narrativen. Masala beobachtet, dass er verbal immer schärfer gegen das westliche Militärbündnis austeilt.

    Er rückt das Nato-Narrativ in den Vordergrund, um nicht zugeben zu müssen, dass er gegen die Ukraine empfindliche Niederlagen einstecken muss.

    Carlo Masala, Politikwissenschaftler

    Putins Drohungen müssten ernst genommen werden, sagte die Staatssekretärin im britischen Außenministerium Gillian Keegan bei Sky News. Sie sprach von einer besorgniserregenden Eskalation.

    Russland beziffert Verluste der Ukraine

    Knapp sieben Monate nach Kriegsbeginn hat Russland die Zahl getöteter ukrainischer Soldaten jetzt mit mehr als 60.000 beziffert. Hinzu kämen fast 50.000 Verletzte, so dass die "Verluste" insgesamt bei mehr 100.000 lägen, sagte Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Morgen im Staatsfernsehen.

    Unter einer Mobilmachung versteht man die Vorbereitung der Streitkräfte eines Staates auf den Einsatz im Krieg. Bei einer Generalmobilmachung gilt das für alle verfügbaren Kräfte, bei einer Teilmobilmachung nur für einen Teil der Streitkräfte.

    Bei einer Generalmobilmachung müssten alle russischen Männer im wehrfähigen Alter in den Kriegsdienst. Durch die Teilmobilmachung in Russland werden nun nur Reservisten zum Dienst an der Waffe einberufen. Nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu sollen 300.000 Reservisten die russischen und separatistischen Kräfte im Süden und Osten der Ukraine verstärken. Westliche Analysten gehen jedoch davon aus, dass nur ein Bruchteil der Reservisten sofort einsatzbereit ist.

    Durch die Teilmobilmachung kann der Kreml jedoch steuern, aus welchen Gebieten Soldaten einberufen werden und damit zum Beispiel die innenpolitisch wichtigen Metropolregionen wie Moskau und St. Petersburg verschonen.

    Damit habe die Ukraine mehr als die Hälfte ihrer einstigen Streitkräfte, die anfangs aus mehr als 200.000 Menschen bestanden haben sollen, verloren, behauptete Schoigu. Unabhängig überprüfen ließ sich das nicht. Die Ukraine selbst hatte die Todesopfer in den eigenen Reihen Ende August auf annähernd 9.000 Soldaten beziffert.
    Tweet von Mychajlo Podoljak
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    Spott aus der Ukraine

    Kiew reagierte mit Spott auf die von Putin angeordnete Teilmobilmachung. Der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, fragte auf Twitter: "Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?" Der für "drei Tage" geplante Krieg dauere bereits 210 Tage. Die Russen, die eine Vernichtung der Ukraine forderten, hätten nun unter anderem die Mobilmachung, geschlossene Grenzen, blockierte Konten und Gefängnisstrafen für Deserteure erhalten.

    Das Leben hat einen wunderbaren Sinn für Humor.

    Mychajlo Podoljak, externer Berater im Selenskyj-Büro

    Nach der Ankündigung einer Teilmobilmachung in Russland wächst dort Internet-Daten zufolge rasant die Nachfrage nach One-Way-Flügen. Statistiken von Google Trends zeigen einen sprunghaften Anstieg der Suchanfragen nach Aviasales, der beliebtesten russischen Website für den Kauf von Flügen.
    Direktflüge von Moskau nach Istanbul und Eriwan in Armenien - beides Ziele, die Russen eine visumfreie Einreise ermöglichen - sind laut Aviasales am heutigen Mittwoch ausverkauft. Einige Strecken mit Zwischenstopps, darunter die von Moskau nach Tiflis, sind ebenfalls nicht verfügbar. Die billigsten Flüge von der Hauptstadt nach Dubai kosteten mehr als 300.000 Rubel (umgerechnet knapp 5.000 Euro) - etwa das Fünffache des durchschnittlichen russischen Monatslohns.
    Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

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    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
    Zerstörter Spielplatz und Schule in der Ukraine
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    Quelle: mit Material von ZDF, dpa, Reuters, AP, AFP
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