Rassismus ist in Deutschland kein Randphänomen: Fast 90 Prozent der Bevölkerung sagen, es gibt ihn. Mehr als ein Fünftel hat ihn selbst erlebt. Das ist Ergebnis einer neuen Studie.
Die Anschläge des NSU, die von Halle und Hanau: Dass aus rassistischen Motiven in Deutschland gemordet wird, ist bekannt. Wie tief aber sitzt der Rassismus insgesamt? Die Bundesregierung hatte 2020 eine Studie, den Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor, in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse nun vorliegen. Es ist die erste repräsentative, umfassende Untersuchung zu diesem Thema.
Problem erkannt, aber Widersprüche
"Rassismus ist nicht als Minderheitenproblem abzutun", sagt Naika Foroutan vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Fast alle der Befragten stimmten zu, dass es ihn gibt. Mehr als ein Fünftel hat ihn schon selbst erfahren. Insgesamt gibt es ein "ausgeprägtes Gespür für Rassismus in der Gesellschaft", so Frank Kalter, Soziologieprofessor an der Universität Mannheim.
Allerdings zeigen sich auch Widersprüche: Viele erkennen Rassismus, eine Mehrheit setzt sich dagegen ein, aber fast die Hälfte glaubt noch, dass es Rassen gibt.
Für die Studie wurden 5.000 Menschen im Alter ab 14 Jahren repräsentativ befragt. Untersucht wurde Rassismus gegenüber schwarzen Menschen, mit jüdischem und muslimischem Glauben, aus dem asiatischen und osteuropäischen Raum sowie gegenüber Sinti und Roma.
Allerdings: Die Befragung fand voriges Jahr statt. Das heißt: Antworten wurden unter dem Eindruck der Bewegung "Black lives matter" gegeben, der Krieg Russlands gegen die Ukraine mit der großen Fluchtbewegung spielte noch keine Rolle.
Was die Studie über Rassismus sagt:
- 90 Prozent der Befragten stimmen zu, dass es Rassismus in Deutschland gibt. 60 Prozent glauben, dass er Alltag ist. 65 Prozent sind der Meinung, dass es rassistische Diskriminierung in Behörden gibt. Eine große Mehrheit (81 Prozent) glaubt, dass sich Rassismus auch unbewusst und unabsichtlich äußert.
- Mehr als ein Fünftel hat schon einmal Rassismus erlebt. Von den potenziell Betroffenen haben fast 60 Prozent rassistische Erfahrung, unter den 14- bis 24-Jährigen sogar 73 Prozent.
- Fast die Hälfte der Befragten hat von rassistischen Vorfällen gehört, 45 Prozent haben einen beobachtet. 35 Prozent sagen, sie sind noch nicht damit in Berührung gekommen.
- Knapp 70 Prozent sind bereit, Rassismus entgegenzutreten. Allerdings gibt es auch eine beträchtliche Abwehr: Betroffene werden als zu empfindlich (33 Prozent) und zu ängstlich (52 Prozent) gesehen.
- Fast die Hälfte der Menschen in Deutschland glaubt immer noch an die Existenz von Rassen. Das sind vor allem Ältere, die Vorstellung sinkt mit zunehmender Bildung. Ein Drittel glaubt, es gibt "natürliche Rangunterschiede", etwa dass die einen "von Natur aus" fleißiger als andere seien. Ein Viertel findet die Vorstellung von der Ungleichheit sozialer Gruppen legitim.
- Unterschiede gibt es darin, was als rassistisch gilt. Klar ist es, wenn jemand wegen der Hautfarbe nicht eingestellt wird oder bei der Wohnungssuche benachteiligt wird. Frauen erkennen Rassismus häufiger als Männer.
- Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (60 Prozent) hält Rassismus vor allem für eine Sache von Rechtsextremen, mehr als ein Drittel (35 Prozent) verortet ihn in den USA.
- Fast die Hälfte der Befragten gibt an, sich in den vergangenen fünf Jahren schon einmal gegen Rassismus engagiert zu haben.
- Einen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland zur Einschätzung von Rassismus gibt es nicht, wohl aber im Engagement gegen Rassismus, der im Westen höher ist.
Ministerin Paus über Ergebnisse schockiert
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) schätzt die Ergebnisse zum Teil als "überraschend" ein:
Paus kündigte an, dass die Bundesregierung verstärkt gegen Rassismus vorgehen will. So soll das Demokratiegesetz, das unter der Großen Koalition nicht zustande kam, künftig den Bund gesetzlich dazu verpflichten, "die Strukturen für das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Extremismus und Rassismus dauerhafter zu machen", so Paus.
Zudem soll der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor fortgesetzt werden. Alle zwei Jahre soll es einen Lagebericht und zwischendurch, je nach Anlass, auch andere Veröffentlichungen geben. So steht es jedenfalls im Koalitionsvertrag der Bundesregierung: Die Arbeit des Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung solle "dauerhaft und verstetigt" werden. Bislang ist das aber nur eine Absicht, was fehlt ist angesichts der angespannteren Haushaltslage die Zusage. Die, so Vorstand Foroutan, sei "noch nicht eindeutig".
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