Sie sind schlecht ausgebildet und ausgerüstet, trotzdem kämpfen sie im Krieg. Wie Putin Reservisten opfert - und warum die Mütter der Gefallenen "sehr gefährlich" für ihn sind.
Die russische Armee opfere Soldaten, um Zeit zu gewinnen, sagt Russland-Experte Nico Lange.
Als Kremlchef Wladimir Putin Ende September im Zuge des Angriffskrieges auf die Ukraine Zehntausende russische Reservisten an die Front schickte, konnten diese nur erahnen, was sie erwartet. Zwei Monate später ist offensichtlich: Die Lage für die kaum ausgebildeten Soldaten ist mehr als verheerend.
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Es mangelt nicht nur an Expertise, sondern auch an militärischem Equipment, das funktioniert. Alltägliche Güter wie Winterjacken fehlen. Verwandte und Bekannte russischer Soldaten bestellten im Onlinehandel Ausrüstung und schickten sie an die Front, berichtet Russland-Experte Nico Lange im ZDFheute live.
Das Recherchenetzwerk Astra berichtet von den Zuständen an der Front.
Putin opfere seine Soldaten wissentlich, erklärt der ehemalige Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums im ZDF. Etwa, indem sie an den Stellen "vorgeschickt werden, wo man weiß, da ist es sehr gefährlich", wie in der Stadt Bachmut, die seit Monaten immer wieder den russischen Angriffen standhält.
Soldaten in Minenfelder geschickt
Absolut unmenschlich sei, dass russische Kommandeure die neu mobilisierten Soldaten nutzten, um "zu gucken, wo die Minen in den Minenfeldern liegen und wo die ukrainischen Stellungen genau sind". Auch von Missbrauch durch ältere Soldaten ist laut Lange die Rede.
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Auch Militärexperte Carlo Masala ist sich sicher: "Sie sind weder einsatzbereit noch sind sie ausgerüstet [...]. Das ist Kanonenfutter, was an die Front geschickt wird. Das ist Menschenmasse, die falls Angriffe erfolgen, ‚Wellen‘ darstellen sollen."
Der Kremlchef "verheize" die Teile der eigenen Bevölkerung. Sein Ziel: Die ukrainische Verteidigung langsam zurückzudrängen, um so Zeit zu gewinnen, resümiert Lang. "Putin hofft, dass er sich [dann] wieder neu aufstellen kann, neue Waffen vielleicht aus Nordkorea oder Iran bekommen kann – und sich damit dann gestärkt in einen neuen Angriff begeben kann."
Die Mütter und Ehefrauen russischer Soldaten fürchten, dass ihre Familienmitglieder im Krieg sterben werden.
Putin beklagt sich gegenüber Soldatenmüttern
Dass das Wissen über die miserablen Zustände öffentlich wird, liegt auch daran, dass Reservisten Bilder und Videos an ihre Familien schicken oder im Netz posten. Seit Oktober protestieren immer häufiger Verwandte gegen die sogenannte Teilmobilmachung. Sie verlangen, dass ihre Angehörigen vom Fronteinsatz befreit, angemessen verpflegt, untergebracht und ausgerüstet werden.
"Das Leben ist komplizierter und vielfältiger, als es auf Fernsehbildschirmen oder sogar im Internet gezeigt wird. Es gibt da viele Fälschungen, Schummeleien, Lügen", beklagte Putin am Freitag bei einem Treffen mit Soldatenmüttern und versucht so, die Schilderungen als verzerrt darzustellen.
Die russische Anthropologin Alexandra Arkhipova erklärt, dass sich der Protest in Russland nicht gegen den Krieg wenden darf. Deshalb protestieren viele gegen die Teilmobilmachung.
Lange: Soldatenmütter gefährlich für Putin
Warum Putin sich am russischen Muttertag mit Müttern der kämpfenden Soldaten an einen Tisch setzt, habe einen strategischen Grund. "Die Soldatenmütter haben eine lange Geschichte und sind sehr gefährlich für Putin", so Lange. Bereits in vergangenen Kriegen wie dem Tschetschenien-Krieg hätten die Mütter von kämpfenden Soldaten die Gesellschaft stark mobilisiert.
"Weil über die Soldatenmütter deutlich wird, dass russische Männer im Krieg sterben und dass es einen so unmenschlichen Umgang der russischen Streitkräfte mit den eigenen Leuten gibt." Worte wie "Wir tun alles uns Mögliche dafür, dass Sie eine Schulter an Ihrer Seite spüren", sind laut Lange Teil der Inszenierung, an der auch kremltreue Frauen und Schauspielerinnen mitgewirkt haben sollen. Sie soll signalisieren:
Dass Putin die Proteste ernst nehme, zeige das inszenierte Treffen mit den Soldatenmüttern.
Sehen Sie das ganze Interview mit Nico Lange oben im Video. Hier können Sie die ganze Folge ZDFheute live "Zum Sterben an die Front" sehen.
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