Swetlana will aus Belarus fliehen: Es sei nur eine Frage der Zeit, bis ihr Mann für Putin kämpfen muss. Doch Belarus und die Ukraine sind keine Feinde: "Wir sind eine Familie!"
Ihr Name ist geändert, zeigen darf man sie auch nicht. Alles zu gefährlich: "Ich habe eine kleine Tochter, die ich beschützen muss. Es würde nicht lange dauern, bis sie mich finden." Doch schweigen will Swetlana (Name von der Red. geändert) auch nicht, denn das, was in ihrem Land Belarus passiert, müsse aufhören – sofort.
"Das sind unsere Brüder und Schwestern"
Swetlana befürchtet, dass Putins Krieg in der Ukraine bald auch von Belarus ausgetragen und ihr Mann für die Armee eingezogen wird. Das wollen sie verhindern – und versuchen zu fliehen. Gleichzeitig leidet Swetlana mit den Menschen in der Ukraine: Sie seien weder Fremde noch Feinde. "Das sind unsere Brüder und Schwestern, wir haben denselben Gott, beten füreinander, sind eine Familie."
Und sie verwendet einen eindrücklichen Vergleich:
Dass sie zur Kriegspartei gezählt werden, ist für viele belastend, so Belarus-Expertin Olga Dryndova: "Das ist eine menschliche Katastrophe für sie, vom Ausland als Aggressor gesehen zu werden. Sie haben sich immer als friedliche Menschen verstanden, gegenüber der Ukraine sowieso. Wir haben viele Belarussen, die am Maidan teilgenommen haben, an der ukrainischen Revolution." Man habe sogar "Belarussen, die im Donbass gekämpft haben und welche, die jetzt in die Ukraine reisen, um dort gegen russische Soldaten zu kämpfen."
Raus aus Belarus – aber wie und wohin?
Swetlana ist aufgewühlt, ständig neue Nachrichten, andauernd klingelt das Handy, besorgte Freunde und Verwandte an der anderen Leitung: "Es wird jeden Tag schlimmer. Die Menschen haben Panik. Wir müssen uns vorbereiten. Wir müssen zur Apotheke und Medikamente auf Vorrat kaufen. Ich muss Wasser und Essen kaufen. Und die Notfalltasche habe ich auch noch nicht gepackt."
Doch es werde immer schwieriger, die Situation einzuschätzen, erzählt Swetlana, die Informationslage sei diffus. Aus Polen erreichte sie die Nachricht, dass Belarus den Grenzübergang verweigert, selbst mit Visum. Das bestätige ihre Vermutung, die Mobilisierung würde bald beginnen – kein Mann zwischen 18 und 60 Jahren käme dann noch außer Landes.
Präsident Lukaschenko versuche, die Lage herunterzuspielen: "Laut Lukaschenko gibt es keine Mobilisierung, es handle sich nur um ein Training für die Soldaten, wir sollten uns keine Sorgen machen. Aber das sind alles nur Fake News."
Lukaschenko: Komplize oder Opfer?
Der belarussische Präsident hat vor wenigen Tagen noch verkündet, seine Armee sei nicht an den kriegerischen Aktionen beteiligt, und das werde auch so bleiben. Wirklich glaubwürdig ist das nicht.
Die EU wirft Belarus vor, dass Russland etwa ballistische Raketen von belarussischem Gebiet abfeuern dürfe und verhängte Sanktionen gegen Belarus. Ende Februar bestätigte Lukaschenko, dass Raketen von belarussischem Territorium abgeschossen wurden.
Lukaschenko gilt als Verbündeter und militärischer Unterstützer von Putin. Aber war er sich bewusst, welche Rolle er in diesem Krieg einnehmen würde?
Die Expertin bezweifelt das: "Tatsächlich konnten wir beobachten, dass die belarussische staatliche Propaganda, die Medienberichterstattung, schon vor Kriegsbeginn ziemlich aggressiv war, Richtung Westen, Richtung Nato, aber auch Richtung Ukraine."
Wie könnte Belarus aus der Rolle des Aggressors rauskommen?
Wie es weitergeht, hinge auch davon ab, wie sich die Sanktionen auf Belarus auswirken und ob sich belarussische Streitkräfte einem Einsatzbefehl widersetzen würden, so Dryndova: "Ich weiß von bestimmten Quellen, dass unter belarussischen Soldaten alles andere als Euphorie herrscht, wenn sie hören, dass sie auch in die Ukraine geschickt werden könnten. Sie wollen diesen Krieg auf keinen Fall."
Um sich aus der Rolle des Aggressors zu lösen, gebe es nur eine Option: "Der einzige Ausweg ist, dass sich Belarus wieder als Verhandlungsstaat darstellen würde."
Zwei Verhandlungsrunden haben auf belarussischem Territorium stattgefunden. Doch die Ergebnisse sind dürftig. Und: "Ich bin sehr skeptisch, ob es Lukaschenko überhaupt gelingen würde, diese Vermittlerrolle an die internationale Gemeinschaft zu verkaufen", so Dryndova.
Darauf kann Swetlana nicht warten. Für sie ist klar: Es gibt nur Verlierer bei diesem Krieg. Und es werden immer mehr – in der Ukraine, in Russland, in Belarus, überall.
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