Russland versammelt Truppen an der ukrainischen Grenze, der Westen ringt um eine gemeinsame Reaktion. Hart und einheitlich soll sie sein. Doch ihr Erfolg ist fraglich.
Mit welchen Sanktionen kann der erneuten russischen Aggression begegnet werden? Eine Antwort auf diese Frage diskutieren westliche Staaten gerade intensiv. Aufgrund der deutschen Geschichte kämen Waffenlieferungen an die Ukraine nicht infrage, so Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch vergangene Woche in Kiew.
Wirtschaftlich ist laut Bundeskanzler Scholz jedoch "alles auf dem Tisch". Was das genau beinhaltet, erläutert die Bundesregierung nicht, doch man möchte sich gemeinsam mit der EU und den USA koordinieren. Folgende Optionen wären denkbar:
- Sanktionierung kreml-naher Personen durch Einfrieren ihrer ausländischen Vermögen sowie Einreiseverbote.
- Export- und Handelsrestriktionen, die härtesten Instrumente wären ein Exportverbot elektronischer Güter und der Stopp von Nord Stream 2.
- Sanktionierung des Finanzsektors, möglich wären auch der Ausschluss Russlands vom internationalen Finanztransaktionssystem Swift oder die Blockierung des Zugangs russischer Banken zum US-Dollar.
Manche Sanktionen seien vielleicht "zu scharf, als dass man sich selbst damit nicht auch verletzen würde“, so ZDF-Korrespondent Gunnar Krüger, zu EU-Sanktionen gegen Russland.
Wie würde Russland die Sanktionen verkraften?
Auf allen drei Ebenen bestehen bereits seit der Krim-Annexion Sanktionen. Während Putin diese nutzt, um in der Bevölkerung Abneigung gegen die Nato zu schüren, versucht er gleichzeitig krampfhaft die ökonomische Abhängigkeit vom Westen zu verringern. Denn die tut im Zweifelsfall weh, wie die Sanktionen 2014 gezeigt haben.
Doch Diversifizierung braucht Zeit. Russland ist auf Technologieexporte aus dem Westen angewiesen, insbesondere in der Öl- und Gasförderung. Chinesische Güter können die komplexen Technologien bisher nicht ersetzen. Dementsprechend effektiv wäre ein Exportverbot.
Als Alternative zu Swift schuf Russland nach 2014 das eigene Finanztransaktionssystem SPFS, das allerdings nur für 20 Prozent Russlands internationaler Transaktionen genutzt wird. Der Ausschluss von Swift oder ein Dollar-Verbot könnte Russland vom internationalen Finanzsektor abschneiden, was Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft hätte.
„Die Realpolitik ist widersprüchlich gegenüber den Thesen“, so ZDF-Korrespondent Axel Storm in Moskau zum Normandie-Treffen.
Die Effektivität der Maßnahmen ist bereits vor ihrer Implementierung spürbar. Russische Finanzmärkte sind nervös, der Rubel stand am Montag kurz vor einem Allzeit-Tief. Und das trotz der hohen Ölpreise, die noch Anfang der 2000er Jahre die russische Wirtschaft und Putins Popularität beflügelt haben.
Heute liegt die Inflation bei 8,4 Prozent und die Bevölkerung schaut pessimistisch auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die Sanktionen könnten - je nach Ausgestaltung und Ausmaß - einen immensen Schaden verursachen, der diesmal noch stärker als 2014 für die gesamte Bevölkerung spürbar wäre.
Europa ist abhängig von Russland als Energielieferant
Doch auch die sanktionierenden Staaten würden ihren Preis für die Schwächung der russischen Wirtschaft zahlen. Zahlungsverkehr- und Handelseinschränkungen würden Firmen, die mit Russland handeln, mitunter stark belasten. Russische Gegensanktionen könnten noch flächendeckender die betroffenen Wirtschaften schwächen.
Das stärkste Drohmittel ist eine Beendigung russischer Gaslieferungen, die 55,2 Prozent der deutschen Erdgaslieferungen ausmachen. Dieser Winter hat bereits die Kosten der Energieabhängigkeit verdeutlicht. Europa diskutiert zusätzliche Lieferungen aus den USA, den gesamten russischen Anteil werden diese nicht ersetzen können.
Gleichzeitig ist die Abhängigkeit nicht einseitig. Gas stellt die Hälfte der russischen Exporte dar, einen Wegfall der Einnahmen könnte sich Putin gerade in einer angespannten wirtschaftlichen Situation nicht leisten.
"Im Weißen Haus heißt es: Solange gesprochen wird, gibt es immer noch Hoffnung“, so ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen in Moskau zum Normandie-Treffen.
Westliche Staaten am längeren Hebel
Insgesamt sitzen die westlichen Staaten daher am längeren Hebel. Für sie fällt nur ein Handelspartner weg, für Russland wären es bei einer koordinierten Sanktionierung der Nato-Staaten 30. Doch der Erfolg der Sanktionen bleibt unklar.
Das Ziel der Nato ist nicht die Schwächung der russischen Wirtschaft, sondern eine Beendigung russischer Aggressionen gegen die Ukraine und die europäische Sicherheitsordnung. Putin wusste, dass sein Truppenaufmarsch von den Nato-Staaten nicht unbeantwortet bleiben kann. Dennoch stehen 100.000 Soldatinnen und Soldaten an der ukrainischen Grenze.
Den Grundkonflikt zwischen russischen und westlichen Interessen würden die Sanktionen nicht lösen und auch ein nachhaltiger Politikwechsel in Russland erscheint unwahrscheinlich. Dazu bräuchte es seitens des Westens eine weitsichtigere Russland-Politik, die nicht erst entsteht, wenn russische Truppen die Existenz der Nachbarstaaten bedrohen.
Marilen Martin arbeitet im ZDF-Studio Moskau.