Bald einen Monat dauert Putins Krieg gegen die Ukraine. Wie blicken Russinnen und Russen auf die Sanktionen und die Zukunft ihres Landes?
Dem Telegram-Kanal "Sanktionen in der Russischen Föderation" folgen seit der Erstellung des Kanals am 28. Februar 2022 bereits über zwei Millionen Menschen. Täglich werden hunderte Nachrichten gepostet: Bilder von leeren Supermarktregalen, Meldungen von ausländischen Firmen, die das Land verlassen und Fluggesellschaften, die Flüge nach und aus Russland streichen.
Sanktionen für Lebensmittelbereich "unangenehm"
Wir fragen Menschen aus verschiedenen Orten Russlands, wie sie die Situation wahrnehmen. Darima Schimbejewna aus Burjatien, einer autonomen Republik an der Grenze zur Mongolei, sagt uns, dass "alles in den Geschäften erhältlich ist, vorerst noch zum alten Preis".
In Moskau und St. Petersburg hingegen berichten die Kosument*innen von stetig steigenden Lebensmittelpreisen, erste Supermärkte rationieren bereits den Kauf von Produkten wie Buchweizen, Zucker und Sonnenblumenöl.
Laut Anatoly Tichonow, Leiter eines Labors der Russischen Akademie der Wissenschaften sind die Sanktionen für die Lebensmittelversorgung Russlands "zwar nicht tödlich, aber unangenehm."
- Putins zweite Front im eigenen Land
Russland sieht sich wegen der Sanktionen in einem "Wirtschaftskrieg" mit den USA und der EU. Der Westen versuche, das Land mit einem neuen "Eisernen Vorhang" zu überziehen.
Lage im medizinischen Bereich gefährlich
Weitaus gefährlicher sind die Auswirkungen im medizinischen Bereich. Aufgrund des fallenden Rubelkurses sind Medikamente aus dem Ausland nun extrem teuer. Ilja Fominzew, Gründer einer Stiftung für Krebsprävention, vermutet, dass eine Krebsbehandlung selbst für gesetzlich Versicherte "unerschwinglich" wird.
Anastasia aus St. Petersburg erzählt, dass "der Lebensstandard mit jedem Tag sinkt." Doch die Meinungen gehen auseinander. Darima denkt "überhaupt nicht über Sanktionen nach. Wir haben erwachsene, schlaue Leute in der Regierung, die wissen, wie man auf diese Sanktionen reagieren kann."
Außerdem sagt sie: "Wir haben ein mächtiges und gut ausgestattetes Land, das mit allen Sanktionen umgehen kann, wenn wir es richtig anstellen."
Viele sehen die Zukunft pessimistisch
Doch der Blick in die Zukunft ist bei vielen trüber. Ein Student, der anonym bleiben möchte, sagt, dass er und seine Freund*innen - unabhängig davon, ob sie für oder gegen den Krieg sind - denken, dass "die Zukunft Russlands das Schlimmste ist, was man sich vorstellen kann."
"Wir werden solche wirtschaftlichen Probleme haben wie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion."
Für Anastasia, 32, aus St. Petersburg, ist die Zukunft "absolut unklar". Sie denkt darüber nach, das Land zu verlassen - so wie es je nach Schätzung bereits bis zu 200.000 Russ*innen getan haben. Sie sagt "ich habe Angst, viele hier haben Angst."
"Ich bin wütend, weil ich mich hilflos fühle. Ich kann keine Hilfeaufrufe für die Ukraine posten, weil ich vielleicht im Gefängnis landen könnte", erzählt Anastasia.
Schwer, ein klares Meinungsbild zu bekommen
Olga aus Nowosibirsk meint, dass "der komplette intellektuelle Zirkel Russland bereits verlassen hat". Sie glaubt, dass Russlands kommende Präsident*innen durch die Größe des Landes immer wieder verrückt vor Macht werden würden.
Es sei denn, sagt sie, alle russischen Republiken separierten sich und es komme zur "vollständigen Dekolonialisierung".
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Darima hingegen schaut optimistisch in die Zukunft. "Ich spüre eine große Energie, ich bin froh, dass Russland endlich die Initiative ergriffen hat. […] Jetzt bin ich ruhig und glücklich, denn ich weiß, dass meine Enkelkinder in einem starken, autarken Land leben werden. Und dieses Land heißt Russland!"
Oleg Wladimirowitsch glaubt nicht an dieses starke Russland. Er denkt, dass "Russland und die Menschen keine Zukunft haben. Also keine strahlende oder gute Zukunft." Er lebt in Moskau und berichtet von dem Gefühl, wie gelähmt zu sein. Er sei gegen den Krieg, doch Protestieren sei sinnlos. Was in der Zukunft kommt, das wisse er nicht.
"Niemand weiß, was in zwei Jahren sein wird. Und sogar was in sechs Monaten sein wird, ist schwer zu sagen. Niemand weiß das, weder die Menschen noch die Behörden."
Diese Meinungen sind nur Ausschnitte. Es ist schwierig, einen verlässlichen Überblick über die Stimmung im Land zu bekommen. Doch es zeigt sich bereits, wie gespalten die Gesellschaft ist. Während einige froh über den Krieg sind, verlassen andere das Land.
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Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.