Kreml-Kritiker Nawalny hat seine Unterstützer zu einer landesweiten Demo aufgerufen. Russische Behörden versuchen sie zu verhindern. Nawalny selbst sitzt derweil im Gefängnis.
Eine Stunde lang verschanzt sich Kira Yarmish in ihrer Wohnung. Eine Stunde lang weigert sie sich, die Tür zu öffnen. Die Polizisten draußen drohen ihr damit, sie wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu inhaftieren. Festgenommen wurde sie schließlich - allerdings aus einem anderen Grund: Wegen des Aufrufs zur Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration.
Nawalny ruft seine Unterstützer zu Demo auf
Russlands bekannteste Oppositionsfigur Alexej Nawalny hatte persönlich zur Demo am morgigen Samstag aufgerufen - noch im improvisierten Gerichtssaal in einer Polizeistation, in dem er kurz nach seiner Festnahme zu 30 Tagen Haft verurteilt worden war.
Dieser Aufruf aber, und das was aus ihm entstand, scheint den russischen Sicherheitsapparat in Aufregung zu versetzen.
Innerhalb eines Tages wurden gestern im ganzen Land bekannte Oppositionspolitiker und Aktivisten von Polizisten aufgesucht. Man empfehle ihnen dringend, nicht an der nicht genehmigten Veranstaltung am kommenden Samstag teilzunehmen. Manche von ihnen, wie ein Mitarbeiter aus Nawalnys Investigativteam, wurden festgenommen.
Politischer Widerstand in Russland ist gefährlich. Immer wieder wurden Oppositionelle und Kritiker erschossen oder vergiftet. Der jüngste Fall: Oppositionsführer Alexej Nawalny.
Nawalny zum Gesicht der Opposition geworden
Russlands Sicherheitsapparat ist in Alarmbereitschaft - und die Anhänger von Nawalny fluten unterdessen Plattformen wie TikTok mit dem Aufruf, "für Nawalny auf die Straße" zu gehen. Zur Stunde ist nicht absehbar, wie sich der morgige Tag in Dutzenden russischen Städten entwicklen wird.
Sicher aber scheint jetzt schon: Nawalny hat durch seine Rückkehr nach dem Nervengiftanschlag und seine Inhaftierung genau den Status erreicht, den der Kreml immer versucht hatte, zu vermeiden. Er ist das Gesicht der Opposition geworden. Allen Bemühungen zum Trotz.
Kreml in Aufruhr
Präsident Putin hatte seinen Namen nicht in den Mund genommen, man hat versucht, Nawalny totzuschweigen. Und vielleicht auch zu töten. Dass er jetzt wieder da ist, versetzt die Mächtigen aus mehreren Gründen in Aufruhr.
Nawalny kann mobilisieren. Das hat er in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt. Das Albtraumszenario ist eines, das im Nachbarland Belarus zu beobachten ist: wochen-, vielleicht monatelange Proteste. Die Antwort des Staates in Belarus ist bekannt. Aber wird es soweit kommen? Wird es Nawalny aus der Haft heraus schaffen, für einen landesweiten Aufstand zu sorgen? Die fragmentierte russische Opposition zu einen? Unklar.
Er gilt als einer der schärfsten Kritiker Wladimir Putins. Aber auch in der Opposition ist Alexej Nawalny umstritten. Jetzt ist er schwer erkrankt, Anhänger vermuten, er sei vergiftet worden.
Ermittlungen gegen Nawalny - Vorwürfe gegen Putin
Sicher ist: Die Prozesslawine rollt weiter. Am 5. Februar muss sich Nawalny wegen des Vorwurfes der Beleidigung eines Weltkriegsveteranen verantworten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in einem neuen Verfahren wegen angeblicher Unterschlagung von Spendengeldern. Und dann ist da noch die Bewährungsstrafe aus einem Prozess im Jahr 2013, die erneut vor Gericht behandelt werden soll. Nawalny könnte für lange Zeit im Gefängnis sitzen.
Putins Intimfeind hatte sich auf diese Situation vorbereitet. Kurz nach seiner Rückkehr nach Moskau veröffentlichte sein Team einen fast zwei Stunden langen Film über angebliche Immobiliengeschäfte des russischen Staatspräsidenten. Über einen pompösen Palast am schwarzen Meer, bei Gelendschik, den Putin sich angeblich für seinen Ruhestand hat bauen lassen.
Mit seiner Rückkehr hat Alexej Nawalny Russlands Machthaber in Zugzwang gebracht. Seine Festnahme am Flughafen und das heutige Hafturteil sollen offensichtlich Stärke demonstrieren. Die Opposition wittert darin Nervosität – die Nawalny nutzen könnte.
Russlands Präsident als "Sonnenkönig"
Es ist ein beispielloser Fehdehandschuh, den Nawalny dem Kremlchef da vor die Füße wirft. Er beschuldigt den russischen Staatschef der Korruption, der Macht- und Geldgier und eines Lebensstiles nach dem Vorbild des französischen "Sonnenkönigs" Louis XIV. Der Film wurde zum Clickhit im Netz: Zur Stunde wurde er bereits 53 Millionen Mal abgerufen.
Axel Storm ist Korrespondent im ZDF-Studio Moskau. Dem Autor auf Twitter folgen: @main_hattan