In Russland gibt es kaum noch Menschen, die sich öffentlich gegen den Krieg in der Ukraine äußern. Für jede Kritik drohen heftige Strafen. So finden Kriegsgegner Mittel und Wege.
Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine schreibt Anastasia jeden Morgen eine Anti-Kriegs-Botschaft auf. "Glaubt die Propaganda im Fernsehen nicht, lest unabhängige Medien!", heißt es auf einer von ihnen. Die 31-jährige Lehrerin hängt sie täglich am Eingang ihres Mehrfamilienhauses in der Industriestadt Perm auf.
"Ich konnte nichts Großes und Öffentliches tun", sagt sie der Nachrichtenagentur AP in einem Telefoninterview. "Ich will, dass die Menschen anfangen nachzudenken. Und ich finde, wir sollten auf jede mögliche Art und in jedem möglichen Umfeld Einfluss nehmen."
Diese Gesetze sollen den Protest unterbinden
Anastasia gehört zu den Wenigen, die den massiven Propagandamaßnahmen ihrer Regierung zum Ukraine-Krieg etwas entgegensetzen. Einige haben dafür einen hohen Preis bezahlt. In den frühen Wintertagen der Invasion im Februar lösten die Behörden Demonstrationen auf und nahmen Teilnehmer fest, selbst wenn diese nur weiße Schilder hochhielten.
Kritische Medien wurden geschlossen und politische Gegner diskreditiert. Das Parlament verbot im Eilverfahren die Verbreitung von "falschen Informationen" über die Invasion, die der Kreml als "militärische Spezialoperation" bezeichnet. Die neuen Mediengesetze werden gegen alle kritischen Stimmen angewandt.
Sergej Besow gestaltet Anti-Kriegs-Plakate
Auch der Buchdrucker und Künstler Sergej Besow aus Moskau hatte das Gefühl, nicht schweigen zu dürfen. Schon vor der Invasion hatte der 45-Jährige Plakate mit politischen Botschaften in der russischen Hauptstadt aufgehängt. Auf einem davon aus dem Jahr 2020 stand nur ein Wort in roter Schrift: "Dagegen" - gerichtet gegen die Verfassungsänderung, mit der sich Präsident Wladimir Putin weitere Amtszeiten sicherte.
Nach Beginn des Ukraine-Kriegs produzierte sein Projekt Partisan Press Plakate mit dem Slogan "Nein zum Krieg". Ein Video vom Druck verbreitete sich auf Instagram. Die Nachfrage nach Kopien war dann so hoch, dass sie kostenlos ausgegeben wurden. Demonstranten auf dem Roten Platz in Moskau wurden mit ihnen festgenommen.
In diesem Moment sei ihm klar geworden, dass die Polizei früher oder später nach ihm suchen würde, sagt Besow. Gegen zwei seiner Beschäftigten wurde Anklage erhoben, der Prozess zieht sich schon seit mehr als drei Monaten hin. Besow weicht deshalb auf subtilere Botschaften aus: "Angst ist keine Entschuldigung für Untätigkeit" etwa.
Sascha Skotschilenko: Zehn Jahre Haft für manipulierte Preisschilder?
Sascha Skotschilenko gelang es nicht, unter dem Radar zu bleiben. Der 31-jährigen Künstlerin und Musikerin aus St. Petersburg drohen schwere Konsequenzen für eine Protestaktion: Sie wurde festgenommen, weil sie in einem Supermarkt fünf Preisschilder durch kleine Etiketten mit Anti-Kriegs-Slogans ersetzt hatte.
Wegen des Vorwurfs, Falschinformationen über die russische Armee verbreitet zu haben, könnte Skotschilenko nun mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. "Es war ein Schock für uns, dass sie ein Strafverfahren eingeleitet haben, das eine ungeheure Gefängnisstrafe von fünf bis zehn Jahren bedeuten kann", sagt ihre Partnerin Sophia Subbotina. "Auf Mord stehen in unserem Land kürzere Haftstrafen."
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.