Regionalwahlen in Russland: Kaum Chancen auf Veränderung
Regionalwahlen:Kaum Chancen auf Veränderung in Russland
von Marilen Martin
11.09.2022 | 06:53
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"Wahlen sind die letzte ungefährliche Form des Protests" steht auf Nawalnys Smart-Voting- Homepage. Doch auch bei den heutigen Regionalwahlen gibt es Repressionen und Manipulation.
Ohne Wahlen keine Demokratie. Aber Wahlen allein machen noch keine Demokratie, wie das Beispiel von Russland zeigt. Heute wird in 14 Regionen Russlands der oder die Gouverneurin gewählt, außerdem finden in sechs Regionen Regionalparlamentswahlen, in zwölf Städten Stadtratswahlen und in Moskau Kommunalwahlen statt.
Um als unabhängige*r Kandidat*in anzutreten, werden 45.000 Unterschriften benötigt. Alternativ ist eine Aufstellung über die Parteilisten möglich. In Russland gibt es neben Putins Partei Edinaja Rossija (Einiges Russland) die sogenannte Systemopposition, also Parteien, die innerhalb des Spielraums agieren, den der Kreml zulässt. Eine wirkliche Opposition hat keine Chance.
Dr. Tatiana Golovo, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien, zois, erklärt:
Es geht auf der Ebene von Gouverneurswahlen schon lange nicht mehr darum, dass die tatsächliche Opposition irgendetwas zu sagen hat. Es ging höchstens darum, dass die sogenannten Systemparteien bestimmte Proteststimmungen binden können.
Tatiana Golovo, Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien
Russland: Zurückhaltung und Angst
Dieses Jahr ist es aber selbst um die Systemopposition ruhig geworden. Grund dafür sind die zunehmenden Repressionen verbunden mit extremer Verunsicherung durch Russlands Krieg gegen die Ukraine. In Russland wurden infolge des Krieges Gesetze erlassen, die gegenteilige Meinungen noch härter bestrafen. Aus Angst vor diesen Repressionen sind vor allem potenzielle Kandidat*innen und Wahlbeobachter*innen ins Ausland geflohen oder haben sich nicht aufstellen lassen.
Selbst innerhalb der Parteien ist bei der Aufstellung von Kandidat*innen die Konkurrenz viel niedriger als in den Jahren zuvor.
Tatiana Golovo, Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien
Partei Jabloko: Auswirkungen des Wegfalls
Eine weitere Schwächung war der Wegfall der Partei Jabloko als Plattform für unabhängige Oppositionskandidierende. "Zuvor konnten auch nicht-Parteimitglieder sich über Jabloko als unabhängige Kandidat*innen aufstellen, um so keine Unterschriften sammeln zu müssen zur Registrierung, denn die Nichtzulassung aufgrund angeblich falscher Unterschriften ist ein verbreitetes Mittel gegen unabhängige Kandidat*innen. Diesmal gibt es das nicht. [...] Jabloko ist einfach tot," berichtet Tatiana Golova.
Einer der bekanntesten Oppositionellen, Alexej Nawalny, sitzt weiterhin im Straflager. Laut Golova sind seine Strukturen innerhalb des Landes "de facto zerschlagen".
Nach dem Giftanschlag: Der russische Oppositionspolitiker Nawalny wurde nach seiner Rückkehr aus Deutschland in Russland zu einer Haft verurteilt. Aktuelle News und Hintergründe.
Daher sind bereits im Vorfeld die Chancen auf eine oppositionelle Gegenkandidatur gering. Hinzu kommt, dass selbst diejenigen, die sich aufstellen lassen, oft nicht zu den Wahlen zugelassen werden oder ihre Registrierung per Gericht wieder entzogen wird.
Russland: Manipulationsgefahr durch E-Voting
Und selbst diejenigen, die am Ende aufgestellt sind, können nicht mit einer fairen Wahl rechnen. Auch dieses Jahr wird es in Russland E-Voting geben, sprich es kann online gewählt werden. Was an sich eine erhebliche Erleichterung der Wahlen darstellt, da so unkompliziert und schnell abgestimmt werden kann, ist in Realität ein einfaches Instrument zur Wahlmanipulation.
Es können beliebig viele Stimmen dazugezählt werden, da jegliche Kontrolle des E-Votings fehlt. So kam es in der Vergangenheit mehrfach dazu, dass eigentlich führende Oppositionskandidaten durch die später dazukommenden Stimmen der online Abstimmung den Wahlsieg verloren haben.
Die Wahlen bieten also kaum eine Chance auf Veränderung. Doch ein letzter Trumpf bleibt: Selbst, wenn es keine tatsächliche Opposition gibt und mit Manipulation zu rechnen ist, bleibt jede Stimme für eine*n Oppositionskandidat*in ein Zeichen des Protests. Diese Zeichen werden immer schwerer in Russland zu setzen.