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Neue Strategie im Ukraine-Krieg? : Was Russlands Teilabzug bei Kiew bedeutet

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Russland hat angekündigt, seine Militäraktivitäten im Norden der Ukraine zurückzufahren. Was heißt das für den Krieg? Will Moskau so seine Offensive im Donbass verstärken?

Russland zieht Konsequenzen aus dem miserablen Verlauf des Ukraine-Krieges: Der stellvertretende russische Verteidigungsminister Alexander Formin kündigte am Dienstag an, dass sein Land Militäroperationen in Richtung der Städte Kiew und Tschernihiw im Norden der Ukraine zurückfahren werde. Am Rande der Verhandlungen zwischen beiden Kriegsparteien in Istanbul sprach Formin von einem Schritt, der das Vertrauen zwischen den Unterhändlern stärken solle.

Ist ein russischer Rückzug nahe Kiew glaubwürdig?

Russland wurde immer wieder vorgeworfen, gemachte Versprechen, etwa mit Blick auf die humanitären Korridore, nicht eingehalten zu haben. Es gebe das, was Russland sage, und das, was Russland tue. Man würde sich auf Letzteres konzentrieren, sagte Außenminister Antony Blinken mit Blick auf die Ankündigung Moskaus.

Das US-Verteidigungsministerium berichtete am Abend von einer kleinen Zahl russischer Soldaten, die sich aus Stellungen um Kiew wegbewegt hätten. "Wir glauben aber, dass es sich um eine Neupositionierung und nicht um einen wirklichen Abzug handelt", sagte Sprecher John Kirby. Man müsse sich auf eine Großoffensive in anderen Teilen der Ukraine einstellen. "Es heißt nicht, dass die Bedrohung für Kiew vorbei ist." Eine unabhängige Bestätigung dieser Beobachtungen gibt es noch nicht.

Der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte schreibt auf Facebook:

Der Gegner konnte die Ziele seiner Offensivoperation nicht erreichen. Der Abzug einzelner Einheiten der Russischen Föderation aus Kiew und Tschernihiw wird gefeiert.
Mitteilung des ukrainischen Generalstabs

Es gibt verschiedene Theorien, was Russland mit einem solchen Schritt bezwecken könnte. Wie schätzen Militärexperten ihn ein?

Option 1: Eine russische Falle und ein erneuter Vorstoß auf Kiew

Dass Russland einen Teilabzug nur vortäuscht, damit sich die Ukraine aus der Deckung wagt, um dann in einem schnellen Vorstoß die Hauptstadt Kiew einzunehmen, davon gehen aktuell die wenigsten Beobachter aus.

In den vergangenen Tagen konnte das ukrainische Militär mehrere Orte außerhalb Kiews zurückerobern. Die russischen Kräfte dort stehen massiv unter Druck und werden nach einem Monat anhaltender Kämpfe ohne massive Verstärkung aus Richtung der belarusischen Grenze keine erneute Offensive auf Kiew starten können. Dort ist die Ukraine aktuell in einer Position der Stärke.

Option 2: Kompletter Rückzug aus dem Norden, um andere Fronten zu verstärken

Einen vollständigen russischen Abzug aus der Gegend um Kiew und Tschernihiw halten Beobachter ebenfalls für unwahrscheinlich:

Ich wäre überrascht, würde Russland seine Kräfte vollständig aus dem Norden abziehen. Das würde ukrainischen Einheiten Spielraum geben, den Donbass zu verstärken. Das wäre ein deutlicher Sieg für die Ukraine in diesem Krieg.
Michael Kofman, Russland-Experte am Militär-Thinktank CNA

Dabei spielt auch Geschwindigkeit eine Rolle: Viele der russischen Truppen nahe Kiew müssten über Gomel in Belarus verlegt werden, würden ihren neuen Einsatzort womöglich erst viele Tage später erreichen. Ein großes logistisches Unterfangen. Die Ukraine hat im eigenen Land die kürzeren Wege und könnte ihre Fronten deutlich schneller verstärken.

Option 3: Teilabzug, Neugruppierung, Rest gräbt sich ein

Eine Konzentration auf die militärische Kontrolle des Donbass hatte das russische Verteidigungsministerium bereits am Freitag angekündigt. Truppen an diesen Frontabschnitt zu verlegen, wäre also kein gänzlich unerwarteter Schritt. Viel hängt jetzt von der ungeklärten Frage ab, welche Kräfte Russland bewegt: Zieht man vor allem kampfstarke Verbände ab? Oder solche, die erhebliche Verluste erlitten haben, damit sie sich neu gruppieren und organisieren können?

"Taktischer Rückzug oder eine grundlegende Veränderung der Kräfteverteilung? Warten wir mal ab", schreibt Franz-Stefan Gady vom International Institute for Strategic Studies auf Twitter. Auch Gady geht davon aus, dass Russland auf jeden Fall eine Präsenz im Norden beibehalten werde.

Für die nahe Kiew verbleiben russischen Truppen könnte die Lage jedoch nochmals angespannter werden. Vom Angreifer würden sie noch mehr zu Gejagten, die nur noch feindliche Kräfte binden sollen. Sie müssen sich eingraben und ihre Stellungen befestigen, um nicht noch schneller als bislang von ukrainischen Kräften aufgerieben zu werden. Gerechnet hatten sie mit einer schnellen Siegesparade in Kiew - ohne Perspektive auf einen militärischen Erfolg dort könnten ihnen harte Wochen bevorstehen.

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