Washington wirft Russland vor, ein Propaganda-Video zu planen, um einen Angriff auf die Ukraine zu legitimieren. Ein schwerer Vorwurf - was steckt dahinter?
Russland und die USA machen sich im Ukraine-Konflikt heftige Vorwürfe. Weil Washington weitere Truppen nach Osteuropa verlegen will, wirft Moskau den USA vor, die Eskalation voranzutreiben.
Die USA wiederum machten am Donnerstag ein besonders pikantes Detail publik: Sie hätten Informationen, wonach Moskau ein Propagandavideo plane. Auf diesem Video solle ein Angriff auf "russisches souveränes Territorium oder russischsprachige Menschen" inszeniert werden, sagte ein Pentagon-Sprecher.
Ein Fake-Video, gedreht, um einen Vorwand für eine mögliche Invasion zu haben - ein schwerer Vorwurf, für den die US-Regierung bisher keinerlei Beweise vorgelegt hat und bei dem einige Fragen offen bleiben. Ein Überblick:
Welches Ziel könnte Russland mit einem solchen Video verfolgen?
"Desinformation hat im russisch-ukrainischen Konflikt ganz unterschiedliche Funktionen", erklärt Sarah Pagung von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Interview mit ZDFheute.
Dies sei im Falle Russlands auch kein neues Phänomen. Auch 2014 beim Krieg im Donbass wurde der Vorwurf des Völkermords an ethnischen Russen verbreitet, um damit einen Angriff zu legitimieren. Es gehe aber auch darum, die Ukraine von innen heraus zu destabilisieren. Das Vertrauen der Bevölkerung - besonders das der russisch-sprachigen Minderheit - in den ukrainischen Staat, soll untergraben werden. Außerdem solle mit solchen Aktionen auch die Einheit im Westen und die damit verbundene Unterstützung der Ukraine angegriffen werden.
Gab es ähnliche Situationen bereits früher?
Die US-Regierung und ihre Geheimdienste warnen schon seit einigen Wochen, dass Russland der Ukraine militärische Aktionen vorwirft, um eigene Aktionen zu legitimieren. Die Analystin Julia Smirnova beobachtet diese Situation für das Institute for Strategic Dialog (ISD Germany). Sie erklärt, dass Russland seit der Annextion der Krim 2014 mit solchen Propagandaaktionen versuche, die Ukraine zu destabilisieren und nennt dabei mehrere Beispiele:
- 2014 wurde in einem Bericht im russischen Fernsehen behauptet, ukrainische Soldaten hätten einen dreijährigen Jungen in der Ostukraine gekreuzigt. Die Aussagen der angeblichen Augenzeugin stellten sich als Täuschung heraus, die Augenzeugin selbst als russische Schauspielerin.
- 2016 verbreiteten russische Hacker ein Video, das Kämpfer des sogenannten IS auf Seiten der ukrainischen Armee zeigen soll. Tatsächlich wurde es jedoch von pro-russischen Separatisten gedreht.
- Im vergangenen Dezember verbreiteten Kreml-nahe Medien ein Video, die ukrainische Soldaten zeigen sollen, wie sie auf Flüchtlinge an der Grenze zu Belarus schießen. Auch diese Videos stellten sich als gefälscht heraus.
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Das Prinzip dahinter ist nicht neu und auch keine exklusiv russische Taktik. Auch im Falle des zweiten Irakkriegs wurden von den USA falsche Beweise über angebliche Massenvernichtungswaffen vor dem UN-Sicherheitsrat präsentiert.
Und auch der 2. Weltkrieg startete mit einem vorgetäuschten Überfall der Nazis auf den Rundfunksender in Gleiwitz-Petersdorf im heutigen Polen.
Gibt es Beweise für die US-Vorwürfe zum geplanten Fake-Video?
Bisher gibt es nur den Bericht des Pentagon-Sprechers Kirby. Der ist zwar sehr detailreich, erklärt etwa: "Ein Teil des militärischen Geräts darin soll sogar so aussehen, als ob der Westen es der Ukraine zur Verfügung gestellt hat."
Die US-Regierung lieferte der Öffentlichkeit aber keine Beweise. Quellen sollen geschützt werden, so die Begründung. In einer Pressekonferenz des amerikanischen Außenministeriums ließ Matt Lee, ein Journalist der Nachrichtenagentur AP, nicht locker. "Eine Reihe von Behauptungen und Aussagen" sei, so Lee, kein Beweis. In einem gut fünfminütigen Schlagabtausch spielte er unter anderem auf die Lügen an, mit denen die Bush-Regierung 2001 die Invasion und Besetzung des Irak rechtfertigte. Der Sprecher des Außenministeriums entgegnete Lee, er könne ja stattdessen "Trost finden in Informationen, die die Russen veröffentlichen". Diese Reaktion sorgte in sozialen Netzwerken und US-Medien für viel Kritik.
Das ganze Gespräch sehen Sie hier:
Warum machen die USA die Info öffentlich?
Damit will die US-Regierung Russland den Wind aus den Segeln nehmen. Sollte tatsächlich ein solches Propagandavideo geplant gewesen sein - der Plan wäre spätestens jetzt zunichte gemacht. Senator Mark Warner, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des Senats hält es daher für richtig, dass die Informationen veröffentlicht wurden.
Es passt auch insgesamt zur Vorgehensweise der USA, eine russische Invasion als sehr realistisches Szenario darzustellen. Damit soll nicht nur der Druck auf Russland aufrechterhalten werden, sondern auch auf die Nato-Partner. Auf Deutschland etwa, das sich bislang gegen Waffenlieferungen und weitreichende Wirtschaftssanktionen ausspricht.
Am Ende gehe es in dem Konflikt immer mehr um die "Informationsüberlegenheit", meint Sarah Pagung von der DGAP. Das Ziel sei, militärische Aktionen unnötig zu machen, da der Gegner bereits demoralisiert ist.
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