Täglich erscheinen Videos, mit denen Russland der Ukraine aggressives Handeln vorwirft. Sind diese Belege glaubwürdig? Experten sehen Hinweise auf eine Inszenierung Moskaus.
Anfang Februar warnte die US-Regierung in ungewöhnlich deutlichen Worten vor russischen Plänen, mit inszenierten Videos einen Vorwand für eine Eskalation des Konflikts zu schaffen.
Seit dem Wochenende verbreiten russische Behörden und Medien diverse Videos, die eine Aggression der Ukraine gegen die Separatisten-Republiken von Donezk und Luhansk - aber auch gegen russisches Staatsgebiet belegen sollen. Dabei gibt es einige Ungereimtheiten. Eine Übersicht.
Angeblicher Angriff auf einen russischen Grenzposten
Laut russischem Inlandsgeheimdienst FSB soll eine ukrainische Granate am Montagmorgen gegen 10 Uhr einen russischen Grenzposten nahe der Ortschaft Schcherbakovo zwischen Mariupol und Rostov am Don zerstört haben. Niemand sei dabei verletzt worden.
Auffällig ist, dass der Ort des mutmaßlichen Angriffs an einem Grenzabschnitt liegt, der nicht von der ukrainischen Armee, sondern von Separatisten kontrolliert wird. Laut aktuellen Gebietskarten sind die nächsten Stellungen der ukrainischen Armee mehr als 30 Kilometer entfernt.
Militärexperten der auf Russland spezialisierten Recherchegruppe "Conflict Intelligence Team" weisen auf Twitter darauf hin, dass lediglich bestimmte ukrainische Waffensysteme eine solche Reichweite hätten - und die würden deutlich größere Schäden anrichten und könnten über diese Distanz einen kleinen Grenzposten kaum präzise treffen.
Ukrainische Soldaten auf russischem Gebiet?
Ebenfalls am Montagmorgen gegen 6 Uhr sollen laut FSB zwei gepanzerte Fahrzeuge der ukrainischen Armee auf russisches Gebiet vorgedrungen sein. Fünf ukrainische Soldaten seien dabei getötet, beide Fahrzeuge zerstört worden sein. Ein online kursierendes Video soll eine Aufnahme einer Helmkamera eines der getöteten Soldaten zeigen.
Innerhalb weniger Stunden finden Experten der Rechercheplattform Bellingcat und andere Rechercheure anhand von Satellitenaufnahmen Hinweise darauf, dass diese Videoaufnahmen am gleichen Ort wie auch der zerstörte Grenzposten entstanden sein sollen.
Auch andere Details lassen zumindest Zweifel aufkommen: Im Video der Helmkamera ist ein BRT-Schützenpanzer zu sehen, in vom Staatssender "RT" später verbreiteten Aufnahmen der zerstörten Wracks hingegen ein brennender BMP-Schützenpanzer. Von den Leichen der angeblich getöteten Soldaten sind bislang keine Aufnahmen bekannt.
Wurden Videos vorab aufgezeichnet?
Am Freitag forderten die politischen Führer der beiden international nicht anerkannten Separatisten-Republiken von Donezk und Luhansk ihre Zivilbevölkerung zur Flucht nach Russland auf. Die Zunahme an Scharmützeln und eine angeblich drohende ukrainische Invasion wurden als Gründe genannt.
Internetnutzer stießen jedoch schnell auf Hinweise, dass beide Videoansprachen bereits zwei Tage zuvor, am 16. Februar, aufgezeichnet worden sein könnten. Anders als andere soziale Medien entfernt der Messengerdienst Telegram beim Upload nicht die Metadaten der Videodatei. Auch ZDFheute konnte dieses alte Datum leicht in den Dateieigenschaften finden.
Experten irritiert über schlechte Qualität der Desinformation
Versucht Russland mit inszenierten Videos gezielt, einen Kriegsgrund herbeizuführen? Angesichts der Vielzahl an Auffälligkeiten der jüngsten Videos gibt es zumindest Grund für diese Annahme.
Laut Bellingcat-Gründer Eliot Higgins, dessen Team seit Jahren zu russischer Propaganda arbeitet, seien das "wirklich ein paar der idiotischsten Versuche von Desinformation", die er je gesehen habe. "Ich habe erwartet, dass man mich anlügt, aber nicht, dass die Lügen so offensichtlich dumm sind", schreibt er auf Twitter. Andere Beobachter merken an, dass sich diese Videos primär an ein russisches Publikum richten könnten, die diese Botschaften weniger gut hinterfragen könnten.
Die US-Journalistin und Russland-Analystin Julia Davis betont auch eine Veränderung im Umgang mit russischen Vorwürfen: "2014 wurden ihre Falschbehauptungen von westlichen Medien weitgehend stehen gelassen, das ist nicht mehr der Fall."
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Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.