Seit zwei Wochen häufen sich Berichte über Feuer und Explosionen in Russland - auch in Gebieten weit weg von der ukrainischen Grenze. Was könnte dahinterstecken? Eine Spurensuche.
Der russische Krieg gegen die Ukraine hat sich bislang vor allem auf ukrainischem Territorium abgespielt. Doch seit etwa zwei Wochen häufen sich Meldungen über Brände und mutmaßliche Angriffe auch auf russischem Boden.
Die Serie von Feuern begann am 21. April mit einem Brand in einem militärischen Forschungsinstitut in Twer, einer Stadt etwa 180 Kilometer nordwestlich von Moskau. 17 Menschen kamen bei dem Feuer ums Leben, teilte die Regionalregierung mit. Das Forschungsinstitut war an der Entwicklung einiger hochmoderner russischer Waffensysteme beteiligt, Berichten zufolge auch an der Entwicklung der Iskander-Rakete. Laut ersten Erkenntnissen könnte der Brand durch veraltete Elektrokabel verursacht worden sein, berichtete Tass.
Am selben Tag ging auch Russlands größte Chemiefabrik in Flammen auf. Die Dmitrijewski-Chemiefabrik in der Stadt Kineshma, etwa 400 Kilometer östlich von Moskau, gilt als wichtigster Hersteller von industriellen Lösungsmitteln in Russland und Osteuropa.
Manche Feuer sind in Reichweite ukrainischer Waffen
Einige der Brände sind in Reichweite ukrainischer Waffensysteme wie Kampfhubschraubern oder der Bayraktar-TB2-Kampfdrohnen. Die ukrainische Führung hatte Angriffe auf Ziele in Russland angekündigt. "Russland hat Zivilisten angegriffen und getötet", schrieb Präsidentenberater Mychajlo Podoljak bei Twitter.
Das könnte die vielen Explosionen in der russische Stadt Belgorod erklären, oder auch die Zerstörung einer Eisenbahnbrücke in Kursk, ebenfalls nahe der Grenze zur Ukraine.
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Einige Brände weit außerhalb der Reichweite der Ukraine
Jedoch sind nicht alle Brände durch konventionelle Angriffe der Ukraine zu erklären: So gab es auch einen Brand in einer russischen Munitionsfabrik in der Millionenstadt Perm am Ural - mehr als 1.500 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Bei dem Brand sind nach Behördenangaben mindestens drei Menschen ums Leben gekommen. Die staatliche "Schießpulverfabrik Perm" stellt unter anderem Ladungen für die Mehrfachraketenwerfer "Grad" und "Smertsch" her, die Russland auch im Krieg gegen die Ukraine verwendet.
Seit Ausbruch des Kriegs gab es bereits diverse Unfälle und Brände in russischen Rüstungsbetrieben und militärischen Einrichtungen. Die am weitesten von der Ukraine entfernten Brände waren ein Feuer in einem Kohlekraftwerk auf der Insel Sachalin und auf einem Militärflughafen in Ussurijsk - beides mehr als 6.000 Kilometer östlich von Moskau.
Was könnte hinter den Feuern und Explosionen stecken? Eine Spurensuche:
Möglichkeit 1: Zufälle
Natürlich könnte es Zufall sein, dass Feuer in den Gebäuden passieren. Auch vor dem Ukraine-Krieg gab es immer wieder Meldungen über Explosionen oder Brände in russischen Munitionsfabriken oder ähnlichen Einrichtungen. Aktuell häufen sich die Vorfälle in strategisch relevanten Orten jedoch. Einen Überblick der Brände finden Sie hier auf der Karte:
Möglichkeit 2: Hackerangriffe
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es sich bei den Bränden in Militäreinrichtungen um Hackerangriffe handelt, meint Manuel Atug, Experte für Informationssicherheit und Gründer und Sprecher der unabhängigen Arbeitsgemeinschaft Kritische Infrastrukturen.
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Der einzige erfolgreiche Cyberangriff, der jemals physische Konsequenzen hatte, sei der Computerwurm Stuxnet gewesen, an dessen Entwicklung mehrere Geheimdienste viele Monate gearbeitet hatten. Der Wurm war mutmaßlich entwickelt worden, um das iranische Atomprogramm zu behindern. Es sei nicht plausibel, dass die Ukraine oder auch andere westliche Staaten das nun gleich in mehreren russischen Einrichtungen geschafft hätten, so Atug.
Möglichkeit 3: Sabotage von innen oder außen
Sabotage sei die naheliegendste Erklärung für die Brände, die außerhalb der Reichweite ukrainischer Waffen liegen, meint der Politikwissenschaftler und Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck gegenüber ZDFheute. Er vermutet hinter den Bränden eher den ukrainischen Geheimdienst als eine Protestbewegung innerhalb Russlands - sagt aber selbst, dass es sich dabei um Spekulationen ohne Belege handelt.
Margarete Klein, Expertin für Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, geht auch von Sabotageaktionen von außen oder innen aus. Was wahrscheinlicher ist, sei aber momentan schwer belegbar.
"Zweifelsohne haben sich ukrainische Nachrichtendienste lange auf den Fall vorbereitet", meint Gustav Gressel von der Denkfabrik "European Council on Foreign Relations". Das Risiko solcher Aktionen sei jedoch sehr hoch. Sie werden im bebauten Gebiet durchgeführt, sind stärker überwacht und zum Teil stark gesichert.
Möglichkeit 4: False-Flag-Aktionen
Als eine weitere Möglichkeit für die Brände nennt Sicherheitsexpertin Margarete Klein sogenannte False-Flag-Aktionen, "die die Regierung sammelt, um dann zu argumentieren, dass Russland längst angegriffen werde." Damit solle eine Art Rechtfertigung für den Angriffskrieg konstruiert werden.
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Gegen diese These spreche jedoch, dass die Ziele für Russland durchaus wertvoll sind und es wenig Sinn macht, sich hier selbst zu schaden. Das treffe vor allem auf das militärische Forschungsinstitut in Twer zu. Diese These wäre glaubhafter, wenn es sich um "weiche Ziele" handeln würde, die für die Attacken genutzt werden, so Klein.
Möglichkeit 5: Protestaktionen
Ausschließen lassen sich Protestaktionen der russischen Bevölkerung jedoch auch nicht. Ein Fall, der sehr nach offenem Protest aussieht, ist der Angriff auf ein Rekrutierungsbüro der Armee in Nischnewartowsk. Dort haben zwei Personen Molotow-Cocktails in die Fenster geworfen und das Gebäude damit in Brand gesetzt. Bei der Tat filmten sie sich und verbreiteten das Video anschließend im Netz.
Fazit
Es ist auch mit den gesammelten Indizien, Videos und Bildern schwer zu sagen, wer hinter den Bränden in Russland steckt. Einige Möglichkeiten lassen sich jedoch ausschließen, etwa die Option der Hackerangriffe.
Sabotage ist die wahrscheinlichste Erklärung. Die Saboteure seien jedoch in diesem Konflikt sehr darauf bedacht, sich nicht zu erkennen zu geben, meint Gerhard Mangott von der Uni Innsbruck: Keine Partei habe ein Interesse, enttarnt zu werden. Sei es der ukrainische Geheimdienst, westliche Geheimdienste oder auch Kräfte innerhalb Russlands.
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