Fast überall in Sachsen hat die AfD für die Landratswahl am Sonntag Kandidaten aufgestellt. Will sie Regierungsverantwortung? Warum? Und mit welchen Chancen?
Dass der Vorsitzende einer Partei wie gestern in Dresden die Basis eines Landesverbandes besucht, und nochmal zum Wahlkampf-Endspurt motiviert, spricht für die Bedeutung, die Friedrich Merz (CDU) den Kommunalwahlen in Sachsen zumisst. Denn hier kommt es am Sonntag womöglich zu einer politischen Zäsur.
Bei Landtagswahlen holte die CDU in den 90ern hier in Sachsen die absolute Mehrheit, gewann alle Direktkandidaten und stellte alle Landräte. Sachsens politische Landkarte war von einem schwarzen CDU-Teppich geprägt, auf dem es sich die Partei womöglich zu bequem gemacht hatte. Wahlerfolge wurden als selbstverständlich hingenommen und mit dem wirtschaftlichen Erfolg Sachsens begründet.
Macht der CDU in Sachsen schwindet
Doch offenbar brodelt in Sachsen etwas, das die CDU nicht wahrhaben wollte: Unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg bildete sich hier ein tiefes Misstrauen gegenüber der Politik heraus, das sich in Protestwahlergebnissen spiegelte.
Es zeigte sich 2004, als die Hartz-IV-Gesetze die NPD mit 9 Prozent in den sächsischen Landtag spülten. Und es war Sachsen, in dem 2014 die AfD das erste Mal in einen Landtag einziehen sollte. Ein Erfolg, den die AfD 2019 zementierte und mit 27,5 Prozent als zweitstärkste Kraft in den sächsischen Landtag einzog.
AfD will Regierungsverantwortung
Und nun schickt sie sich an, mit den Landratsposten Regierungsverantwortung zu übernehmen. In Zeiten, in denen die AfD in Sachsen im Umfragen in diesem Frühjahr bis zu 3 Prozentpunkte vor der CDU lag. Und in denen die Umfragewerte für den lange unumstrittenen sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer bröckeln.
"Natürlich könnte ein AfD-Erfolg auch Rückwirkungen auf die CDU haben, so dass dort dann eine Diskussion um die Führungsstärke des Ministerpräsidenten beginnt", urteilt Hans Vorländer, Politologe an der TU Dresden.
- Ex-AfD-Chef Meuthen wechselt in neue Partei
Der ehemalige AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen ist der christlichen Deutschen Zentrumspartei beigetreten. Früher fiel die mit radikalen Anti-Abtreibungskampagnen auf. Was will er dort?
Partei streitet um Vorsitz und politische Ausrichtung
Doch auch für die AfD selbst haben diese Wahlen Signalwirkung. Die Partei ringt mit sich und ihrem politischem Kompass. Die Partei kann im Osten mit radikalen Tönen etwa 30 Prozent der Wähler mobilisieren. Mit Tönen, die Westwähler aber womöglich verschrecken.
So streitet die Partei um die Frage ihres Vorsitzes, um die Rolle der Ost-Verbände, um das Verhältnis zu Björn Höcke und seinem Flügel - und nicht zuletzt um ihre Ausrichtung als national-konservative oder radikale und nationalistisch-reaktionäre Partei.
Landratsmandat in Sachsen wäre Rückenwind für Ost-AfD
Gelänge es dieser Partei nun, mittels eines Landratsmandates praktisch erstmalig in ihrer Geschichte auf Landesebene in Regierungsverantwortung zu kommen, dürfte das bei allen anstehenden Diskussionen nicht nur dem Vorsitzenden Tino Chrupalla, sondern allen Ost-Landesverbänden den Rücken stärken.
Welchen Wert die AfD den Wahlen beimisst, zeigt sich daran, dass sie in acht von neun Landkreisen antritt. Sechs der acht Kandidaten sitzen im Landtag und würden für den Fall eines Sieges ihre Plätze dort räumen. Eine Schwächung der Landtagsfraktion nimmt die Partei also in Kauf.
Durchmarsch von Partei unwahrscheinlich
Aber wofür? Landräte müssen Gesetze in ihrem Beritt umsetzen, sie haben wenig Spielräume. Andererseits können sie Vorhaben auch blockieren, wie jüngst etwa in Mittelsachsen geschehen, wo ein CDU-Landrat die Impfpflicht in Pflegeeinrichtungen nicht durchsetzen will. Der AfD-Bewerber um das Amt hatte für den Fall seines Wahlsieges genau das gleiche auch angekündigt.
Mit einem Durchmarsch im ersten Wahlgang rechnet kaum jemand, so wird es vor allem um die Absprachen nach dem Sonntag gehen. Ob sich dann zum Beispiel ein unterlegener CDU-Kandidat durchringen kann, bei seinen konservativen Wählern um Stimmen für einen linken Bewerber zu bitten, nur um die AfD zu verhindern, das ist die große Frage. Und ob die konservativen Wähler dann zur Stichwahl am 3. Juli diesem Werben folgen oder nicht.