Die Türkei beruft sich auf die Seerechtskonvention von Montreux und sperrt den Zugang zum Schwarzen Meer. Ankaras Balanceakt zwischen den Wirtschaftspartnern Ukraine und Russland.
Man könne es sich weder mit dem einen, noch mit dem anderen verderben, hatte Präsident Erdogan Mitte Februar erst wieder betont. Das war vor dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine. Kurz darauf kam aus Kiew die Aufforderung an die türkische Regierung, Bosporus und Dardanellen für die russische Kriegsmarine zu schließen.
Ein Dilemma für die Türkei, die zu beiden Kriegsparteien enge wirtschaftliche Beziehungen unterhält.
Montreux-Vertrag regelt Verkehr durch Dardanellen und Bosporus
Ankara beschloss, sich auf den Wortlaut eines Abkommens zu berufen, das der Türkei seit 1936 wieder die volle Kontrolle über diese einzige Wasserverbindung zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer gibt. Der Montreux-Vertrag regelt den freien Verkehr durch Dardanellen, Marmara-Meer und Bosporus und verpflichtet die Türkei, Handelsschiffen grundsätzlich die freie Passage zu gewähren.
Freie Durchfahrt genießen zudem Kriegsschiffe und U-Boote der Schwarzmeer-Anrainer Rumänien, Bulgarien, Ukraine, Russland, Georgien und Türkei. Andere Staaten müssen mit einer Vorlauffrist von zwei Wochen eine Durchfahrt beantragen, und auch das nur für genau begrenzte Tonnagen.
Russland: Meerenge ist Verbindung zum Mittelmeer
So gehören Fregatten, Zerstörer, Versorgungsschiffe und U-Boote der russischen Kriegsmarine mittlerweile zum Stadtbild Istanbuls. Für Russland stellt die Meerenge die einzige Verbindung seiner im Schwarzen Meer stationierten Handels- und Kriegsflotten ins Mittelmeer und die Ozeane dar. Und Russland ist bei Weitem die größte Seemacht im Schwarzen Meer.
Doch für den Kriegsfall gibt der Vertrag von Montreux der Türkei gravierende Sonderrechte. So darf die Türkei die Durchfahrt für kriegführende Anrainerstaaten sperren. Ist das Land selbst Kriegspartei, kann es die Meerengen komplett dicht machen, für Handels- und Kriegsschiffe.
Erdogan verkündet: Durchfahrt für beide Kriegsparteien gesperrt
Als nun die Ukraine um eine Sperrung bat, war guter Rat teuer. Russland bezeichnet den Einmarsch als "Spezialoperation". Man müsse zuerst einmal prüfen, ob es sich völkerrechtlich um einen Krieg handelt, hieß es aus Ankara. Die Prüfung durch die Juristen brachte das erwartete Ergebnis.
Und so verkündete Präsident Erdogan am Montag, dass - entsprechend dem für die Türkei verbindlichen Montreux-Vertrag - ab sofort die Durchfahrt für beide Kriegsparteien in beide Richtungen gesperrt sei. Für die Ukraine ist das zu verschmerzen. Sie unterhält nur wenige Kriegsschiffe. Für Russland dagegen sieht die Lage anders aus. Das Land hat fünf Kriegsflotten, von denen eine im Schwarzmeer stationiert ist.
Türkei verurteile russischen Angriff auf die Ukraine, gleichzeitig sei sie wirtschaftlich von Russland abhängig, so ZDF-Korrespondent Brase.
Laut Montreux-Vertrag muss selbst im Kriegsfall allen Schiffen, die ihren Heimathafen im Schwarzen Meer haben, die Rückkehr gestattet werden. Experten gehen davon aus, dass Russland aber bereits zu Jahresbeginn alle Marinestreitkräfte, die für einen Angriff auf die Ukraine benötigt wurden, zurück durch den Bosporus geschleust hatte.
Zuletzt kreuzten Anfang Februar sechs Kriegsschiffe und ein U-Boot Richtung Schwarzmeer durch den Bosporus.
Türkei will Beziehungen zu Russland und Ukraine nicht vernachlässigen
In die andere Richtung aber geht seit Montag nichts mehr. Für Militäroperationen zum Beispiel vor der syrischen Küste kann Russland nun keine Schiffe der Schwarzmeerflotte einsetzen. Die Frage ist, ob das zurzeit überhaupt geplant ist. Und die spannendere Frage wäre zudem, ob die türkische Küstenwache russische Schiffe mit Gewalt daran hindern würde, sich Richtung Mittelmeer der Bosporus-Einfahrt zu nähern.
Präsident Erdogan betonte am Montag noch einmal, dass man die Beziehungen weder zur Ukraine noch zu Russland vernachlässigen wolle. Er sagte aber auch, dass Russlands Einmarsch "inakzeptabel" sei und man den Kampf des ukrainischen Volkes für die eigene Freiheit unterstütze. So kam er nun Kiews Bitte nach und hofft vermutlich, dass er die Sperrung des Bosporus niemals mit Gewalt durchsetzen muss.
Jörg-Hendrik Brase ist ZDF-Studioleiter in Istanbul.
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