Kanzler Scholz hat in der ersten Regierungserklärung hohe Ziele für seine Ampel formuliert. Es geht um Modernisierung von allem und allen. Damit muss die Opposition erst umgehen.
Angela Merkel nahm sich meistens gut eine Stunde, wenn sie Großes zu erklären hatte. Ihr Nachfolger Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) brauchte in seiner ersten Regierungserklärung 84 Minuten, um sein Programm und das der Ampel im Bundestag vorzustellen. Er setzte neue Töne, andere Themen. Und die Opposition suchte noch ihre Rolle - und übte sich in Prosa.
Anders als Merkel: Viel Ich, viel Wir
Würde man in Scholz‘ Rede die "Ichs" und "Wirs" zählen, wäre die Liste vermutlich lang. So lang wie bei Merkel höchstens in ihren Fernseh- oder Neujahrsansprachen. Scholz versicherte etwa, in der Corona-Krise seine persönliche Betroffenheit: Niemand gehe es damit derzeit gut, "mir auch nicht". Und: "Meine Bitte ist", dass sich alle impfen lassen. Die Gesellschaft sei dabei nicht gespalten. Die meisten seien solidarisch. Impf-Leugner, Querdenker, Extremisten jedoch nicht:
Die Bekämpfung der Pandemie ist laut Scholz zwar die erste Aufgabe der neuen Regierung. Sie ist aber vermutlich nicht die größte. Die Ampel-Koalition will in den kommenden Jahren all das modernisieren, was in diesem Land marode ist: Infrastruktur, Digitalisierung, weniger Bürokratie, moderne Verwaltung, neues Einwanderungsrecht, neue Familienstandsrecht, Kindergrundsicherung und so weiter. Scholz:
(Die ganze Rede von Olaf Scholz sehen Sie hier:)
Sehen Sie hier die Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu den Leitlinien seiner Politik in den nächsten vier Jahren in voller Länge.
Fortschritt fordert Scholz "auf allen Ebenen konsequent". Dabei sollten nicht erst die Probleme gelöst und dann der Zusammenhalt der Gesellschaft gepflegt werden. Man werde die großen Aufgaben nur lösen, so Scholz, wenn alle Menschen mitkommen. Leitbild der Regierung sei daher der Respekt gegenüber allen Biographien, der Respekt für Lebensleistungen. Laut Scholz werde das alles gelingen:
Sätze für 2025 und aus der Wiedervorlage
Es gibt einige Sätze von Scholz, die am Ende der Legislaturperiode Maßstab für Erfolg oder Misserfolg seiner Regierungszeit und die der ganzen Ampel sein könnten:
- Corona: "Wir werden den Kampf gewinnen."
- Transformation: "Diesen Weg des Fortschritts, der Erneuerung und Transformation wird die neue Bundesregierung auf allen Ebenen konsequent umsetzen."
- In der Gesellschaft verspricht Scholz "mehr Zuwendung, mehr Augenhöhe, weniger Herablassung". Für die gut ein Viertel Menschen mit Migrationshintergrund: "Sie haben Anspruch auf volle Teilhabe an dem gesellschaftlichen Leben in unserem Land."
- Erneuerung: Es gehe um "milliardenschwere Investitionen in neue Wohnungen, Schienenwege, Ladensäulen, Offshorewindparks, Stromnetze und vieles, vieles mehr. Wer es bezahlt? "Der größte Teil dieser Investition werde privatwirtschaftlich erbracht werden."
- Bürokratie: "Wir werden die Dauer der Verfahren halbieren."
- Bis 2030 mehr als Verdoppelung des Energiebedarfs aus Erneuerbare Energien: "Ich bin der festen Überzeugung: Das wird uns gelingen."
Bei 2G plus entfällt die Testpflicht für Geboosterte, es gibt Forderungen nach einer Reform der Stiko und in Nordrhein-Westfalen könnte der Karneval wieder digital stattfinden.
Und es gibt Sätze von Scholz, die man schon so oft gehört hat.
- "Deutschland wird führender Start-up-Standort."
- Kampf gegen Steuerhinterziehung: "Wir werden weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen."
- "Mit den Ländern und Kommunen werden wir einen Ausbau- und Modernisierungspakt für einen besseren ÖPNV schließen."
- "Unser Ziel ist die flächendeckende Versorgung mit Glasfaser und dem neuesten Mobilfunkstandard."
- "Für gleiche Arbeit muss gleicher Lohn gezahlt werden."
- "Wir werden Bildungsabschlüsse aus dem Ausland schneller und einfacher anerkennen."
- "Wir werden die Geldwäsche-Bekämpfung stärken."
- "Wir werden die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern, indem wir bessere Personalausstattungen in den Krankenhäusern möglich machen."
Späte Themen: Europa, Klima
Interessant auch: Über welche Themen Scholz nicht oder später sprach. Merkel fing nahezu jede Rede mit dem Blick nach Europa an. Bei Scholz kam bei dieser Regierungserklärung der Blick ins Ausland erst nach 75 Minuten. Dabei sei Europas Einigung "das wichtigste nationale Anliegen", sagte Scholz.
Der neue Kanzler stellte sich dabei klar in die Kontinuität der Außenpolitik Merkels: Man könne in Europa, in der Welt nicht nur „kommentierend am Rand stehen". Das "wird auch mein Handeln leiten", so Scholz. Dabei werde man "die Chinapolitik ausrichten, an dem China, was wir real finden."
Über Menschenrechte sprach Scholz nicht. Über die Einhaltung der Klimaziele eher indirekt und erst nach 38 Minuten. Das brisante Thema Impfpflicht kam nicht vor, das Thema Ostdeutschland auch nicht.
Union will "fair und fordernd" sein
Die neue größte Oppositionspartei, die Union, scheint ihre Rolle noch zu suchen. Oppositionschef Ralph Brinkhaus versicherte zwar seinen Glückwunsch und Respekt vor der neuen Regierung. Sein erster, und damit wohl wichtigster Kritikpunkt war aber, dass die Ampel die Sitzordnung ändern wolle. "Wie klein ist das denn?", fragte Brinkhaus.
Außenpolitisch hält er die Ampel für unsicher, der Nachtragshaushalt ein "Sägen an der Schuldenbremse". Überhaupt habe er in Scholz‘ Rede keine Begeisterung entdeckt, die Pläne in der Migrationspolitik "macht mir Angst", so Brinkhaus. Nur bei der Modernisierung, das stimme, "da haben sie uns an ihrer Seite". Die Corona-Pandemie habe zu viel Nachholbedarf. Da sei man durchaus "selbstkritisch".
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte eine Regierungs-"Verklärung" gehört. Die "Prosa" der Regierung würde stimmen, "aber der Plan, der verstimmt". Die Ampel habe den "Verschuldungsturbo" gezündet, ihr "finanzpolitischer Booster" werde zum "Rohrkrepierer". Und dann wolle man eine Opposition sein, die "fair und fordernd" ist, sagte Dobrindt.
AfD: Scholz' erste Tage eine "Geisterfahrt"
Deutlich ist nach dieser ersten längeren Debatte im Bundestag: Die Linke hat es als kleinste Fraktion schwer, sich Gehör zu verschaffen. Die Union will mit ihr "keine Koalition in der Opposition" eingehen, wie Brinkhaus sagte. Mit der AfD sowieso auch nicht. Die wiederum fiel wieder mit ständigen, lauten Zwischenrufen auf, Fraktionschefin Alice Weidel mit einer drastischen Rede.
Die neue Regierung bestehe aus "links-grünen Betonköpfen" und "umgefallenen Liberalen". Deren Finanzpolitik sei eine "unseriöse, verfassungsbedenkliche Finanztrickserei". Scholz sei ein "Kanzler der Spaltung", weil er die Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte teile. Überhaupt die ersten Tage seiner Kanzlerschaft: "eine Geisterfahrt", so Weidel.