Sie telefonieren, heute wieder: Kanzler Scholz und Präsident Selenskyj. Doch in die Ukraine reisen will Scholz nur, wenn es "konkrete Dinge" gibt. Nur wie und wen hat er gemeint?
Es ging um die "aktuelle militärische und humanitäre Lage", eine "diplomatische Lösung", man werde "weiterhin eng in Kontakt bleiben". So beschreibt das Bundespresseamt das heutige Telefonat zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Ob ein Besuch von Scholz in der Ukraine zur Sprache kam, weiß man nicht. Seine gestrige Bemerkung klingt eher nicht danach.
Beim Sender RTL wurde Scholz nach einer baldigen Kiew-Reise gefragt. Als Zeichen der Solidarität und jetzt, nachdem die diplomatischen Querelen nach der Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgeräumt sind. Reisen um des Reisens Willen möchte Scholz nicht:
CDU: Scholz fällt Baerbock in den Rücken
Scholz war zuletzt zehn Tage vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine in Kiew. Eine Reise war als Zeichen der Solidarität seit Kriegsbeginn immer wieder von ihm gefordert worden. Vor einer Woche hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) als erstes deutsches Regierungsmitglied Kiew, Irpin und Butcha besucht.
Dass Scholz weiterhin einen Besuch ablehnt, wertet man in der CDU als Abwertung der viel gelobten Baerbock-Reise. "Der eigenen Außenministerin so in den Rücken zu fallen, ist auch für diese Koalition ein absoluter Tiefpunkt", twitterte Serap Güler, die zum Bundesvorstand der CDU und als Bundestagesabgeordnete dem Verteidigungsausschuss angehört.
CDU-Chef Friedrich Merz nannte die Äußerung von Scholz am Dienstag "befremdlich". Mit "Gruppen von Leuten" könne der Kanzler nur die Reisen aus seiner Koalition gemeint haben, zum Beispiel die von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas oder der Außenministerin. Die CDU jedenfalls habe Baerbocks Reise "mit großem Respekt" begleitet.
Strack-Zimmermann: Nicht zu Unrecht Merz gemeint
Das sieht Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) genau umgekehrt. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses hatte mit Kollegen von SPD und Grünen Mitte April die Ukraine besucht. Scholz müsse, "nach wie vor selbst entscheiden, ob und wenn wann er nach Kiew fährt", so Strack-Zimmermann zu ZDFheute. Aber:
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Merz hatte Anfang Mai Kiew besucht und dort auch Präsident Wolodymyr Selenskyj getroffen. Seine spätere Behauptung, die Aussöhnung zwischen Steinmeier und Selenskyj sei auf seine Vermittlung hin zustande gekommen, hatte ihm auch Kritik eingebracht.
Fücks: Scholz bleibt auf Distanz zur Ukraine
Scholz ist unter den G7-Staaten nicht der einzige Staatschef, der noch nicht vor Ort war. Bislang waren das die Premierminister aus Kanada und Großbritannien, Justin Trudeau und Boris Johnson, statt US-Präsident Joe Biden war seine Frau Jill gekommen. Oft war über einen gemeinsamen Besuch von Scholz und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron spekuliert worden, zuletzt nach Macrons Besuch in Berlin vorige Woche.
Es ist Krieg in Europa. Russland hat die Ukraine überfallen. Seitdem ist nichts mehr so, wie es einmal war. Die Nato rüstet auf, Russland droht – was wird aus Europa?
Ralf Fücks, ehemaliger Grünen-Politiker und Leiter des Thinktanks Zentrum Liberale Moderne, und seine Frau Marie-Luise Beck (Grüne) waren nach Kriegsbeginn als erste Deutsche in der Ukraine. Fücks kritisiert Scholz' Bemerkung bei RTL:
Weitere Waffenlieferungen zum Beispiel, "die Liste der unerfüllten ukrainischen Anfragen ist lang", so Fücks zu ZDFheute. Außerdem die Zusammenarbeit beim Aufbau der zerstörten Städte, der Energieversorgung der Ukraine, Finanzhilfen für die Regierung, eine verbindliche Beitrittsperspektive zur EU.
Wenn Scholz nicht nach Kiew fahren wollte, weil er keine Zusagen machen wolle, dann wäre das laut Fücks "ein plausibler, aber schlechter Grund für seine Weigerung". Jeder Besuch eines westlichen Politikers sei hingegen ein Zeichen der Solidarität, dass man die Menschen nicht im Stich lasse. Scholz aber wahre weiter Distanz zur Ukraine.