Kanzler Scholz hat Russland indirekt vorgeworfen, Vorwände für die ausbleibenden Gaslieferungen zu nutzen. Die Turbine für Nord Stream 1 könne jederzeit geliefert werden, sagte er.
Kanzler Scholz hat sich selbst ein Bild gemacht von der fehlenden Turbine für die Pipeline Nord Stream 1, die in Kanada gewartet und in Mühlheim an der Ruhr zwischengelagert wird.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat Russland indirekt vorgeworfen, Vorwände für die ausbleibenden Gaslieferungen zu nutzen. Die Turbine für die Pipeline Nord Stream 1 sei jederzeit einsetzbar und könne geliefert werden, sagte der SPD-Politiker bei einem Besuch des Energietechnik-Konzerns Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr.
Dort ist die Maschine auf dem Weg von Kanada nach Russland zwischengelagert.
Dem Gastransport durch Nord Stream 1 stehe dann nichts mehr im Weg. "Alle vorgebrachten technischen Gründe sind nicht auf einer Faktenbasis nachvollziehbar", sagte der Kanzler.
Gazprom drosselt Gasmenge - wegen fehlender Turbine
Seit Juni hat Russland die Gaslieferungen über Nord Stream 1 zurückgefahren. Der Energiekonzern Gazprom begründete dies mit der fehlenden Turbine. Sie sei wichtig, um den nötigen Druck zum Durchpumpen des Gases aufzubauen.
Gazprom warf seinem Vertragspartner Siemens Energy wiederholt vor, nicht die nötigen Dokumente und Informationen zur Reparatur der Maschine übermittelt zu haben. Siemens Energy wies die Vorwürfe zurück.
Scholz betonte, es gebe keine Gründe, warum die Turbine nicht geliefert werden könne. Sie sei nicht nur in perfektem Zustand, ihrer Nutzung stünden auch keinerlei Gas-Sanktionen entgegen. Man müsse sich angesichts des russischen Kriegs in der Ukraine aber bewusst sein, "dass es jederzeit irgendwelche vorgeschobenen, vorgebrachten Gründe geben kann, die dazu führen, dass irgendetwas nicht funktioniert", sagte der Kanzler.
Scholz: Putin kann Turbine nicht mehr als Vorwand benutzen
Im Interview mit der kanadischen Zeitung "The Globe and Mail" hatte Scholz zuvor die Lieferung, die wegen der Umgehung von Sanktionen umstritten ist, verteidigt. Er sagte:
"Er kann diesen Vorwand nicht mehr verwenden und keine technischen Gründe mehr für ausbleibende Gaslieferungen ins Feld führen."
Den wegen der Turbinen-Lieferungen unter Druck geratenen kanadischen Premierminister Justin Trudeau nahm Scholz in Schutz. "Für mich entbehrt die Kritik an Justin Trudeau und seiner Regierung jeglicher Grundlage", betonte er.
Baerbock in Kanada - Turbinen-Lieferung sorgte für viel Kritik
Nach der Turbinen-Besichtigung des Kanzlers absolviert Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ebenfalls am heutigen Mittwoch ihren Antrittsbesuch in Kanada - ungewöhnlicherweise nicht in der Hauptstadt Ottawa, sondern in Montreal, der Heimatstadt von Außenministerin Melanie Joly.
In der Metropole der Provinz Quebec wurde die Turbine gewartet, ein Besuch der Ministerin in dem dortigen Werk von Siemens Energy ist aber nicht geplant. Dafür besucht die Ministerin unter anderem ein Getreideterminal im Hafen.
Die Wartung und Verschiffung der Nord-Stream-1-Turbine hatte in den vergangenen Wochen in Kanada für Wirbel und Druck auf Premier Justin Trudeau gesorgt. Ottawa umging mit der Auslieferung seine eigenen Sanktionen gegen Moskau und verärgerte damit auch die ukrainische Führung.
Der Parlamentsausschuss für Auswärtige Angelegenheiten untersucht den Vorgang derzeit - am Donnerstag soll dort unter anderem Außenministerin Joly aussagen. Auch die deutsche Botschafterin Sabine Sparwasser hat sich zu einer Aussage bereiterklärt. Der einflussreiche Weltkongress der Ukrainer, der Ukrainer in aller Welt vertritt, kündigte Mitte Juli sogar eine Klage gegen die Regierung wegen der Rückgabe der Turbine an.
- Fehlende Turbine oder fehlender Wille?
Russland drosselt seit Wochen die Gaslieferungen. Wartungsarbeiten oder eine fehlende Turbine sollen der Grund sein. Was steckt dahinter?