Schottland wählt. Dabei geht es nicht nur um die Frage, wer künftig regiert. Es geht um die Zukunft des Königreichs.
Für Patrick Harvie ist klar: "Wenn die britische Regierung den Willen der Schotten weiter ignoriert, sich stur stellt und den Schotten sagt, ihr dürft nicht über Eure Zukunft entscheiden, dann wird das viele Unentschiedene in Richtung der Unabhängigkeit drängen. Denn sie werden nichts anderes als Herablassung darin sehen."
Patrick Harvie ist der Spitzenkandidat der schottischen Grünen. Er steht in einem Laden in Stirling und macht Wahlkampf. Das sieht ziemlich einsam aus in Corona-Zeiten, aber Harvie ist bester Dinge. Die Grünen werden, so die Prognosen, bei den heutigen Wahlen für das schottische Parlament ihr Ergebnis vermutlich verdoppeln, damit den Parteien für die Unabhängigkeit eine Mehrheit verschaffen und außerdem Königinnenmacher werden.
Impfkampagne mit politischer Nebenwirkung
Quelle: dpa
Die Queen Schottlands, das ist Nicola Sturgeon. Sie regiert die Nation seit fünf Jahren und wird ganz sicher das Mandat bekommen, es weiter zu tun. Nur ob es zu einer absoluten Mehrheit in Holyrood reicht, das ist nicht sicher. Im vergangenen Jahr sah es nach einem gigantischen Triumph für die 50-jährige Juristin aus, fast durchgehend sahen Umfragen erstmals auch eine konstante Mehrheit für die Unabhängigkeit Schottlands. So abgestoßen waren die Schotten erst vom Brexit und dann von Boris Johnsons Handling der Corona-Krise.
In den vergangenen Monaten allerdings schrumpfte der Vorsprung der Nationalisten. Der Plan des britischen Premiers, den Schotten mit dem Corona-Impfstoff auch gleich einzuimpfen, dass es ihnen in der Union mit England besser ergeht als allein, scheint ein bisschen aufzugehen.
Brexit spielt entscheidende Rolle
Nicht genug, um dem Kandidaten der Konservativen in Schottland, Douglas Ross, zu mehr Stimmen zu helfen. Er ist hier etwa so unbeliebt wie Boris Johnson selbst, und das will was heißen. Aber vielleicht genug, um Sturgeons Ruf nach einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum etwas weniger eindrücklich zu machen.
Der Brexit spielt eine entscheidende Rolle. Zwei Drittel der Schotten wollten ihn nicht. Viele sind weiterhin empört, dass sie von den Engländern gezwungen wurden, die EU zu verlassen. Andererseits zeigt der real existierende Brexit auch, wie schwer es ist, miteinander verflochtene Volkswirtschaften auseinander zu dividieren.
Große nationale Einrichtungen liegen in Schottland, darunter die britische Atom-U-Boot-Basis in Faslane, 50 Kilometer von Glasgow entfernt. Hier gibt es ein Peace Camp, das im rauhen Winter der Westküste auf nur zwei hartgesottene Atomkraftgegner zusammengeschrumpft ist.
Maurice Corry ist der lokale Konservative. Er ist natürlich für das Atomraketensystem Trident auf den Booten und gegen die Unabhängigkeit. Denn ein unabhängiges Schottland würde die U-Boote nicht behalten wollen und können, sie müssten nach England umziehen. "Wenn wir den Sitz hier nicht gewinnen", so sagt er, "dann hoffentlich Labour. Jedenfalls nicht die SNP."
- Ganz schön schottisch - ganz schön eigen
Durch den Brexit fühlen sich viele Schotten von Großbritannien betrogen, Stolz auf Unterschiede zu England gab es schon immer. Mündet das 2021 in der Unabhängigkeit?
Vor allem die Jüngeren hadern mit London
Nach Jahren schwindender Zustimmung rappelt Labour sich langsam wieder auf. Anas Sarwar, ihr neuer Kandidat, hofft, dass er den traditionell links wählenden Schotten eine Alternative zu den Unabhängigkeitsfans bei SNP und Grünen bieten kann. "Der Brexit ist eine Realität, wir müssen versuchen, nun eine möglichst enge Beziehung zur EU zu entwickeln und das Land zusammenzuführen."
Auf den Straßen Glasgows bestätigt sich ein Trend, den die Umfragen abbilden: Je jünger die Menschen sind, desto eher wollen sie weg vom Machtzentrum in London. Viele ältere Männer erinnern dagegen daran, dass Schotten und Briten oft Seit an Seit gekämpft haben. "Wozu war das dann alles gut?", fragt James Stevenson. "Ohne das Geld aus London kommen wir doch hier nie im Leben klar, schon gar nicht nach der Pandemie."
Romantische Vorstellung von der Unabhängigkeit
Wie bereits beim Brexit, so fehlt auch in Schottland ein klarer Plan, wie die romantische Vorstellung von der Unabhängigkeit organisiert und gelebt werden soll. 60 Prozent des Exports gehen in die anderen drei Nationen des Königreichs. Wenig zuversichtlich stimmt auch, dass Schottland in Sachen Bildung, Kriminalität und Gesundheit nach Jahren der SNP-Regierung nicht besonders gut dasteht. Doch: "Dies hier sind keine Wahlen über die Vergangenheit Schottlands", sagt John Curtice, der Guru der britischen Wahlforschung.
Egal wie es ausgeht - und das steht übrigens erst am Samstag fest, weil wegen Covid nicht alle gleichzeitig auszählen dürfen: Boris Johnson signalisierte im Vorfeld, dies sei nicht der Moment über noch ein spaltendes und "überflüssiges Referendum" nachzudenken. Doch was wird er tun, wenn die Schotten nicht klein beigeben?
London hofft auf Schlappe Sturgeons
Ihnen das Votum über die eigene Zukunft zu verweigern, könnte, wie der Grüne Patrick Harvie sagt, den Drang nach Unabhängigkeit nur noch verstärken. Sie wählen lassen, birgt die klare Gefahr, dass sie dann wirklich gehen. Der beste Plan in London ist bislang, ein solches Votum an die Bedingung zu knüpfen, dass ein genauer Plan ausgearbeitet werden müsse.
Bis dahin aber hofft die britische Regierung, dass Nicola Sturgeon eine Schlappe erleidet. Auch die zu erwartende geringe Wahlbeteiligung wird London helfen. Selbst wenn die Unabhängigkeitsbefürworter in Holyrood eine Mehrheit bekommen werden - sollten nur sehr wenige Schotten überhaupt wählen gehen, könnte das selbst einer Nicola Sturgeon den Wind aus den Segeln nehmen.