AfD und Linke rufen auf zum "heißen Herbst". Sachsen könnte Hotspot der Proteste werden. Sachsens Innenminister Schuster (CDU) fordert ein besseres Krisenmanagement der Regierung.
ZDFheute: Herr Staatsminister, wenn Sie jetzt auf diesen Herbst schauen, der ja vielfach schon als "heißer Herbst" beschrieben wird, welche Szenarien sehen Sie da?
Armin Schuster: Es ist noch sehr spekulativ, jetzt schon Unruhen im Herbst herbeizureden. Dafür sind unsere Erkenntnisse noch zu abstrakt. Und ich möchte auch nicht denen das Geschäft machen, die darauf bauen, dass mittlerweile auch schon Regierungsvertreter solche Szenarien herbeireden.
Natürlich sind meine Sicherheitsbehörden darauf eingerichtet, dass das Versammlungsgeschehen im Winter deutlich ansteigen könnte. Meiner Meinung nach ist das aber sehr stark davon abhängig, wie gut wir diese Krise managen, hier, aber vor allem durch die Bundesregierung.
ZDFheute: Sehen Sie denn da momentan Defizite im politischen Berlin, was diese Kommunikation und dieses Management betrifft?
Schuster: Wir haben Corona noch nicht bewältigt und zusätzlich eine ansteigende Migrationslage, die den Druck auf unsere Kommunen erhöht. Und dazu kommt die Ukraine-Lage mit ihren Folgen. Das alles spricht dafür, dass der Bundeskanzler schleunigst den Krisenstab wieder einberufen sollte, den er während der Corona-Krise im Kanzleramt eingerichtet hatte.
Sicherheitsbehörden warnen davor, dass Extremisten die Energiekrise und Inflation ausnutzen könnten. Für den Herbst rechnen sie auch mit neuen Protesten der "Querdenker-Szene".
Was wir aktuell erleben, ist keine alleinige Energielage - auch wenn wir darauf bauen müssen, dass der Wirtschaftsminister das Gas- und Energie-Problem in den Griff bekommt - es ist eine ressortübergreifende Krise. Die Folgen sind in allen Lebensbereichen spürbar.
Dieses Format, das sage ich deutlich, vermissen wir nicht nur beim Energie-Thema, sondern auch für all die Folgen, die diese Lage mit sich bringt.
Um zu verhindern, dass von der Umlage auch Unternehmen profitieren, die nicht in einer wirtschaftlichen Notlage sind, kündigten Habeck und Lindner eine Korrektur der Gasumlage an.
ZDFheute: Lassen Sie uns auf das Demonstrationsgeschehen bei Ihnen in Sachsen schauen. Auch die Linke hat jetzt zu einem "heißen Herbst" und zur Montagsdemo aufgerufen. Aktuell sind montags bei Ihnen gerade viele Querdenker, Rechte und Rechtsextreme auf der Straße. Wie schauen Sie auf eine mögliche Gemengelage?
Schuster: Ich wundere mich über diese Aktivität der Linken, die bereits von der falschen Seite Applaus bekommen hat. In der rechten Szene freuen sich die extremen Kräfte darüber, dass es da unter Umständen zu einer neuen Allianz kommen könnte. Also: Solange die Linke weiter so kommuniziert und an ihrer Wortwahl samt Wut-Rhetorik festhält, wie sie es aktuell tut, sorgt sie selbst dafür, dass die rechte Szene diese Chance ausnutzt.
Für die Sicherheitsbehörden ist das deutlich erschwerend. Ich glaube, wer jetzt politisch sauber argumentiert und nicht alarmiert, der erhält den richtigen Zuspruch. Wir werden jedenfalls zuvorderst die Versammlungsfreiheit von Bürgern schützen, die ihre Sorgen oder gar ihre Existenzfurcht gegenüber der Politik friedlich auf der Straße zum Ausdruck bringen wollen.
ZDFheute: Die friedlichen Montagsdemos von 1989 sind inzwischen als historischer Bezug oft vereinnahmt worden: Montagsdemos gegen Hartz IV, Montagsdemos von Pegida & Co, Montagsdemos von Querdenkern. Wenn sich also heute Gruppen entscheiden, Montagsdemos zu machen, vor welchen Herausforderungen stehen die Sicherheitsbehörden da?
Schuster: Die Versammlungen lassen sich immer häufiger nicht eindeutig einem Thema zuordnen, sondern es gibt zunehmend thematische Überschneidungen. Es zeichnet sich bei den Versammlungen ein ähnliches Bild, wie ich es anfangs geschildert habe: Wir sind in einer multiplen Krisenlage. Corona, Ukraine, Energiemangellage - eventuell kommt noch eine stärkere Migrationslage dazu. Und in dieser multiplen Lage können Sie auch bei Versammlungen nicht fein säuberlich auseinanderhalten, aus welchen Gründen die Menschen auf der Straße sind. Hier entsteht das Gefühl einer diffusen Verunsicherung.
Die Qualität des Krisenmanagements der Bundesregierung wird für das Ausmaß der Existenzängste und damit möglicher sozialer Proteste mitentscheidend sein. Deswegen noch einmal mein Appell: Es ist Zeit, dass das Kanzleramt das Zepter wieder in die Hand nimmt.
Das Interview führte Andrea Maurer, ZDF-Hauptstadtstudio
- "Explosive Stimmung, die eskalieren könnte"
Der Thüringer Verfassungsschutzpräsident, Stephan Kramer, warnt wegen der Energiekrise vor Unruhen im Herbst. Er befürchtet, Extremisten könnten legitime Proteste kapern.