Wahl in Schweden: Sozialdemokraten droht Machtverlust
Machtwechsel in Schweden?:Konservative und Rechtsextreme vor Wahlsieg
von Dominik Rzepka
12.09.2022 | 09:59
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In Schweden ist ein Machtwechsel möglich. Die rechtsextremen Schwedendemokraten könnten mit den Konservativen eine Mehrheit gewinnen, ihr Chef formuliert einen Regierungsanspruch.
Schweden hat gewählt. Zum ersten Mal werden die rechtsradikalen Schwedendemokraten zweitstärkste Kraft. Parteichef Jimmie Åkesson formuliert bereits einen Regierungsanspruch. 12.09.2022 | 2:02 min
Nach der Parlamentswahl in Schweden könnte es zu einem Regierungswechsel kommen. Die regierenden Sozialdemokraten könnten die Macht verlieren, meldet das schwedische Fernsehen SVT am Montag.
Nach Auszählung von etwa 95 Prozent aller Stimmen liegt die Partei von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson zwar mit 30,5 Prozent auf Platz 1. Allerdings werden die Schwedendemokraten (SD) mit 20,6 Prozent klar zweitstärkste Kraft. Bei männlichen Wählern landet die Partei sogar etwa gleichauf mit den Sozialdemokraten.
Damit zieht die rechtsradikale Partei erstmals an den konservativen Moderaten vorbei, die bei 19,1 Prozent liegen. Die Moderaten sind in Deutschland mit der CDU vergleichbar.
SD-Chef Åkesson formuliert Regierungsanspruch
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Im Moment ist offen, wer künftig regieren wird. Beide politischen Blöcke liegen dicht beieinander mit einem knappen Vorsprung für das rechte Lager. In einer Berechnung des schwedischen Fernsehens am Montagmittag liegen Konservative und Rechtsradikale ein einziges Mandat vor dem linken Lager.
Damit wäre denkbar, dass der Vorsitzende der konservativen Moderaten, Ulf Kristersson, auch als Drittplatzierter versuchen wird, erstmals mit Hilfe der Schwedendemokraten, die auch Verbindungen zum Rechtsextremismus hat, an die Macht zu kommen.
Das würde eine "neue Ära" einleiten, ein "neues Kapitel für Schweden", sagt die schwedische Journalistin Lina Lund, ehemalige Deutschland-Korrespondentin der Zeitung "Dagens Nyheter":
Noch vor einigen Jahren haben alle anderen Parteien die Schwedendemokraten isoliert, vergleichbar mit der AfD im Bundestag. Aber das könnte sich jetzt ändern in Schweden.
Lina Lund, schwedische Journalistin
Ergebnis erst am Mittwoch erwartet
Lund geht nicht davon aus, dass die Schwedendemokraten Teil einer konservativen Regierung werden und Minister stellen. Denn dafür wären die Moderaten noch auf zwei weitere, kleinere Parteien angewiesen: Christdemokraten und Liberale. "Die Liberalen würden eine Beteiligung der Schwedendemokraten aber nicht akzeptieren", sagt sie.
Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten könnten erstmals in Stockholm mitregieren, weil die bürgerlichen Parteien mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Ein Tabubruch.
von Hermann Bernd
Allerdings wäre eine konservative Minderheitsregierung mit Unterstützung der Rechten denkbar. Der Chef der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, formuliert in der Nacht vor jubelnden Anhängern bereits einen Regierungsanspruch:
Unsere Ambition ist es, Teil der Regierung zu sein. Am besten für Schweden ist eine Regierung mit eigener Mehrheit, mit den Schwedendemokraten als Basis.
Jimmie Åkesson, Vorsitzender Schwedendemokraten
Einige Wahlbezirke hatten erst am frühen Morgen Ergebnisse geliefert. In einigen Wahllokalen bildeten sich lange Schlangen, was die Auszählung der Stimmen verzögerte. Das vorläufige Ergebnis wird am Mittwoch erwartet, erst dann werden weitere Stimmen ausgezählt - unter anderem von Schweden, die im Ausland leben.
Fragen und Antworten zu den Schwedendemokraten
Die Schwedendemokraten (SD) werden in der Regel als rechtspopulistisch beschrieben. Politikwissenschaftler in Schweden nennen sie rechtsradikal. Laut dem Vorsitzenden der schwedischen Extremismusstiftung Expo ist die Partei "eine Mischung aus Rechtspopulisten und Rechtsextremen".
214 Politiker, die bei der Parlamentswahl 2022 für die Schwedendemokraten kandidiert haben, haben Nähe zum Nationalsozialismus oder Rassismus - so viele wie in keiner anderen schwedischen Partei. Laut einer Studie zählen dazu Politiker, die Mitglieder in Nazigruppen oder Skinheads waren oder wegen Volksverhetzung verurteilt wurden. Einige haben Hasskommentare in rechtsextremen Onlineforen geschrieben.
Quelle: Imago
Die Schwedendemokraten wurden im Jahr 1988 von "Veteranen des schwedischen Nationalsozialismus und Faschismus" gegründet, so die schwedische Extremismusstiftung "Expo".
Einige Gründer kamen aus der Bewegung "Bevara Sverige svenskt" ("Schweden muss schwedisch bleiben") und der "Nordischen Reichspartei", dem ehemaligen "nationalsozialistischen Kampfverbund" - unter ihnen der erste SD-Parteichef Anders Klarström.
2010 schaffte die Partei das erste Mal den Einzug ins schwedische Parlament (Bild). Bei der Wahl 2010 erhielt die Partei 5,7 Prozent - und wuchs dann stetig: 12,9 Prozent im Jahr 2014, vier Jahre später 17,5 Prozent und bei der jüngsten Wahl 20,6 Prozent. Damit wurden die Schwedendemokraten 2022 erstmals zweitstärkste Kraft des Landes.
Der jetzige Parteichef heißt Jimmie Åkesson, ein Mittvierziger aus Südschweden (Bild). Im Jahr 2012 erklärte er eine "Nulltoleranz" gegenüber Rechtsextremismus. Unter seiner Führung mussten rechtsextreme Mitglieder die Partei verlassen. Åkesson positioniert die Schwedendemokraten mittiger, damit sie für breitere Schichten wählbar werden.
Allerdings kritisiert Expo, dieses Versprechen richte sich vor allem an die Öffentlichkeit. Noch am Wahlabend 2022 hatte eine sichtlich angetrunkene Vertreterin der Partei eine missverständliche und undeutliche Äußerung vor laufenden Kameras gemacht, man konnte sie als "Sieg Heil" verstehen.
Eine direkte Regierungsbeteiligung mit Ministerposten gibt es nicht. Die Regierung bilden die konservative Partei "Moderaterna" (M) plus zwei kleinere Parteien. M-Chef Ulf Kristersson (Bild) ist als Drittplatzierter neuer Ministerpräsident. Allerdings lässt er sich von den Schwedendemokraten tolerieren.
Jahrelang hatten die Konservativen das ausgeschlossen. Nun aber ist Kristersson mit Hilfe der Schwedendemokraten an die Macht gekommen. Als Gegenleistung werden die Konservativen Forderungen der Schwedendemokraten erfüllen müssen.
Der große Aufschrei in der schwedischen Gesellschaft bleibt bisher aus. Expo-Chef Daniel Poohl sagt: "Die Schweden haben ihren Widerstand gegen die Schwedendemokraten aufgegeben, sie werden als normale Partei wahrgenommen. Man hat aufgehört zu verstehen, welche Gefahr damit einhergeht."
Quelle: AP
Die Partei hat vor allem ein Thema: Den Umbau der schwedischen Gesellschaft. Die Schwedendemokraten wollen die restriktivste Migrationspolitik der EU. Geduldete Zuwanderer sollen das Land verlassen. Homosexualität soll kein Grund mehr für Asyl sein.
Expo sagt: "Mit den Schwedendemokraten wird es in Schweden künftig weniger schwarze Haut geben." Darin bestehe eine wirkliche Veränderung der liberalen Gesellschaft, eine neue Ära in Schweden.
Quelle: dpa
Wahrscheinlich nein. Für den angestrebten Nato-Beitritt Schwedens gibt es einen ziemlich großen Konsens. Die zuletzt regierenden Sozialdemokraten hatten das Thema vor der Wahl abgeräumt. Hinzu kommt: Außenpolitik ist den Schwedendemokraten nach Einschätzung von Expo-Chef Poohl nicht besonders wichtig.