Rechtsruck im Norden: Was wollen die Schwedendemokraten?
Rechtsruck im hohen Norden?:Das wollen die Schwedendemokraten
von Hermann Bernd
14.09.2022 | 13:32
|
Eine Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten in Stockholm wird immer wahrscheinlicher. Die Schwedendemokraten fühlen sich als Wahlsieger und reif für die Macht.
Frau hält ein Fähnchen der Schwedendemokraten in der Hand
Quelle: imago
Es ist kurz vor der Wahl in Schweden am 9. September 2018. Ein Vorort von Stockholm. Wir sind nach einem Wahlkampftermin dort mit Jimmie Åkesson verabredet - der seit 2005 Parteivorsitzender der Sverigedemokraterna, der Schwedendemokraten (SD) ist. Jimmie Åkesson kritisiert damals die Migrationspolitik der Regierung, der Wahlkampf steht noch unter den Eindrücken der Flüchtlingskrise 2015. Schweden hatte damals im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die meisten Menschen in Europa aufgenommen.
Rechtspopulisten wollen in die Regierung
Åkesson und seine rechtspopulistische Partei erreichen damals 15,5 Prozent der Wählerstimmen, ein deutliches Plus - bleiben aber politisch isoliert. Seit der Parlamentswahl 2010 sind die SD im schwedischen Reichstag vertreten.
Aktuell ist vieles anders, diesmal können die Rechtspopulisten auf eine Regierungsbeteiligung hoffen. Mit ihnen als zweitstärkste Kraft bei der jüngsten Wahl hätte der konservative Block in Schweden eine Mehrheit.
Am ehesten lassen sich die Schwedendemokraten mit dem Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen in Frankreich vergleichen. Ähnlich wie der RN haben sich die SD von ihren rechtsextremen Wurzeln schon vor einem Jahrzehnt offiziell distanziert.
Chef der Schwedendemokraten: Jimmie Åkesson
Parteichef: "Sozialkonservative Partei mit nationalistischer Ausrichtung"
Keine Frage, die Partei hat allen Beteuerungen zum Trotz rechtsextreme Wurzeln. Viele der Gründungsmitglieder waren Anfang der achtziger Jahre in der Bewegung BSS aktiv, die enge Kontakte mit der britischen National Front unterhielt. Wie diese trat die BSS für Rassismus ein und unterstützte die Apartheid in Südafrika.
Jimmie Åkesson hat sich von dieser Vorzeit seiner Partei wiederholt distanziert. Angeblich wurden rechtslastige Parteimitglieder ausgeschlossen, doch im vergangenen Wahlkampf wurde deutlich, dass die SD nach wie vor auch Wähler am ganz rechten Rand anspricht. Åkesson sieht seine Partei im Wandel, als "sozialkonservative Partei mit nationalistischer Ausrichtung" sind sie für viele Schweden wählbar, weil sie - neben ihrer Ablehnung von Einwanderung und Multikulturalismus - viele Kernfragen anderer Parteien übernommen haben.
SD wollen Ausgaben für Migranten kürzen
So treten die SD einerseits für Steuersenkungen ein, andererseits befürworten sie einen starken Wohlfahrtsstaat in der Tradition der schwedischen Sozialdemokratie. Allerdings sollte sich dieser auf Bürger beschränken, die in Schweden geboren sind. Sie lehnen - im Gegensatz zu konservativen und bürgerlichen Parteien - eine Privatisierung von Schulen, Gesundheitswesen und Pflege ab. Die Finanzierung soll dadurch erfolgen, dass Ausgaben für Flüchtlinge, Migranten und Integration radikal gekürzt werden.
Härtere Strafen zum Schutz der schwedischen Bürger - so soll vor allem die extreme Bandenkriminalität bekämpft werden. Das wollen auch die konservativen Moderaten, die nun, um einen Regierungswechsel herbeizuführen, ihre ablehnende Haltung gegenüber den Rechtspopulisten aufgegeben haben.
Andere Partei offen für Tolerierung
Schwierig werden Verhandlungen allemal. Schon vor den Reichstagswahlen forderten die SD Ministerposten für den Fall, dass es zu einer bürgerlichen Regierungsbildung kommt. Zwar lehnen die Konservativen, Liberalen und Christdemokraten eine Zusammenarbeit mit den SD nicht mehr ab, aber eine komplette Regierungsbeteiligung der SD wollen sie nicht, Tolerierung ja.
Auf kommunaler und regionaler Ebene sind die SD seit Jahren landesweit vertreten, haben jedoch kaum Führungspositionen übernommen. Kommunale Koalitionen unter ihrer Beteiligung sind vielerorts gescheitert. Nicht so in Sölvesborg in Südschweden. Bürgermeisterin ist dort Louise Erixon, ehemalige Lebensgefährtin von Åkesson. Zwar sind die Sozialdemokraten auch im Ort stärkste Kraft, gemeinsam mit den Moderaten wurde Erixon ins Amt gehievt. Ein Vorbild für ganz Schweden?
Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten könnten erstmals in Stockholm mitregieren, weil die bürgerlichen Parteien mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Ein Tabubruch:
Die Schwedendemokraten (SD) werden in der Regel als rechtspopulistisch beschrieben. Politikwissenschaftler in Schweden nennen sie rechtsradikal. Laut dem Vorsitzenden der schwedischen Extremismusstiftung Expo ist die Partei "eine Mischung aus Rechtspopulisten und Rechtsextremen".
214 Politiker, die bei der Parlamentswahl 2022 für die Schwedendemokraten kandidiert haben, haben Nähe zum Nationalsozialismus oder Rassismus - so viele wie in keiner anderen schwedischen Partei. Laut einer Studie zählen dazu Politiker, die Mitglieder in Nazigruppen oder Skinheads waren oder wegen Volksverhetzung verurteilt wurden. Einige haben Hasskommentare in rechtsextremen Onlineforen geschrieben.
Quelle: Imago
Die Schwedendemokraten wurden im Jahr 1988 von "Veteranen des schwedischen Nationalsozialismus und Faschismus" gegründet, so die schwedische Extremismusstiftung "Expo".
Einige Gründer kamen aus der Bewegung "Bevara Sverige svenskt" ("Schweden muss schwedisch bleiben") und der "Nordischen Reichspartei", dem ehemaligen "nationalsozialistischen Kampfverbund" - unter ihnen der erste SD-Parteichef Anders Klarström.
2010 schaffte die Partei das erste Mal den Einzug ins schwedische Parlament (Bild). Bei der Wahl 2010 erhielt die Partei 5,7 Prozent - und wuchs dann stetig: 12,9 Prozent im Jahr 2014, vier Jahre später 17,5 Prozent und bei der jüngsten Wahl 20,6 Prozent. Damit wurden die Schwedendemokraten 2022 erstmals zweitstärkste Kraft des Landes.
Der jetzige Parteichef heißt Jimmie Åkesson, ein Mittvierziger aus Südschweden (Bild). Im Jahr 2012 erklärte er eine "Nulltoleranz" gegenüber Rechtsextremismus. Unter seiner Führung mussten rechtsextreme Mitglieder die Partei verlassen. Åkesson positioniert die Schwedendemokraten mittiger, damit sie für breitere Schichten wählbar werden.
Allerdings kritisiert Expo, dieses Versprechen richte sich vor allem an die Öffentlichkeit. Noch am Wahlabend 2022 hatte eine sichtlich angetrunkene Vertreterin der Partei eine missverständliche und undeutliche Äußerung vor laufenden Kameras gemacht, man konnte sie als "Sieg Heil" verstehen.
Eine direkte Regierungsbeteiligung mit Ministerposten gibt es nicht. Die Regierung bilden die konservative Partei "Moderaterna" (M) plus zwei kleinere Parteien. M-Chef Ulf Kristersson (Bild) ist als Drittplatzierter neuer Ministerpräsident. Allerdings lässt er sich von den Schwedendemokraten tolerieren.
Jahrelang hatten die Konservativen das ausgeschlossen. Nun aber ist Kristersson mit Hilfe der Schwedendemokraten an die Macht gekommen. Als Gegenleistung werden die Konservativen Forderungen der Schwedendemokraten erfüllen müssen.
Der große Aufschrei in der schwedischen Gesellschaft bleibt bisher aus. Expo-Chef Daniel Poohl sagt: "Die Schweden haben ihren Widerstand gegen die Schwedendemokraten aufgegeben, sie werden als normale Partei wahrgenommen. Man hat aufgehört zu verstehen, welche Gefahr damit einhergeht."
Quelle: AP
Die Partei hat vor allem ein Thema: Den Umbau der schwedischen Gesellschaft. Die Schwedendemokraten wollen die restriktivste Migrationspolitik der EU. Geduldete Zuwanderer sollen das Land verlassen. Homosexualität soll kein Grund mehr für Asyl sein.
Expo sagt: "Mit den Schwedendemokraten wird es in Schweden künftig weniger schwarze Haut geben." Darin bestehe eine wirkliche Veränderung der liberalen Gesellschaft, eine neue Ära in Schweden.
Quelle: dpa
Wahrscheinlich nein. Für den angestrebten Nato-Beitritt Schwedens gibt es einen ziemlich großen Konsens. Die zuletzt regierenden Sozialdemokraten hatten das Thema vor der Wahl abgeräumt. Hinzu kommt: Außenpolitik ist den Schwedendemokraten nach Einschätzung von Expo-Chef Poohl nicht besonders wichtig.